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Der Zauber der Bombarde

Im bretonischen Lorient feierte das Festival Interceltique gut besucht sein 25jähriges Jubiläum  ■ Von Christian Rath und Anke Uhl

Lieben Sie Straßenschlachten? Wenn ja, sollten Sie sich einmal eine riot mit bretonischem Flair gönnen. Setzen Sie beim nächsten Tumult einfach den Walkman auf und hören Sie die historische bretonische Kriegshymne „Kan ar kan“ in der gefühlsverherrlichenden Langfassung von Tri Yann. Das Geheimnis dieser Musik liegt in der aggressiven Ausstrahlung der Bombarde, des typischen bretonischen Blasinstruments. Die Bombarde, eine Urform der Oboe, ist ein Instrument, das man entweder nur lieben oder hassen kann. Ihr Klang, härter und nicht so quäkend wie der von Dudelsäcken, scheint in der Lage, Mauern zum Bersten zu bringen.

Wer sich dem Zauber der Bombarde in all seinen Variationen nähern möchte, dem empfiehlt sich ein Trip zum „Festival Interceltique“ in der bretonischen Hafenstadt Lorient. Über 300.000 Menschen besuchen dort jedes Jahr an zehn Tagen im August die zahllosen Veranstaltungen des inzwischen größten Folk-Festivals der Welt. Lorient hat es sich zum Programm gemacht, alle europäischen Regionen zusammenzubringen, in denen das kulturelle Erbe der KeltInnen noch gepflegt wird. Neben der Bretagne sind das Irland, Schottland, Wales, das südenglische Cornwall und die Insel Man sowie die nordspanischen Provinzen Galicien und Asturien.

Musikalisch konnte man so über den eigenen Tellerrand hinausblicken, wobei dennoch eine gemeinsame Klangfarbe erhalten blieb. Die wird allerdings eher durch die vielfältigen Arten von Dudelsäcken (Pipes, Binious, Cornemuses, Gaitas) geprägt als durch die Bombarde, die lediglich in der Bretagne zu finden ist. Der Bezug auf eine gemeinsame keltische Kultur ermöglichte außerdem den schnellen Schulterschluß mit der Anfang der 70er Jahre aus den USA, Irland und Schottland kommenden Folk-Bewegung. Das reichhaltig überlieferte Material an bretonischen Tanzmelodien eignet sich nämlich besonders gut für eine Bearbeitung mit Folk- und (später) Rockinstrumenten – der schnelle internationale Aufstieg Alan Stivells und seiner keltischen Harfe belegt den Erfolg dieser Strategie.

Auch heute noch erwartet die BesucherInnen Lorients, unter ihnen viele Deutsche, eine Stadt, die sich ihrem Festival ganz verschrieben hat. Ein „keltisches Dorf“ im Zentrum sorgt für die Verpflegung, ständig defilieren Pipebands mit Dudelsäcken und Schlagwerk durch die Straßen. In mehreren Hallen der Stadt finden abends die Konzerte statt, zahlreiche Kneipen und Bars bieten daneben ein eigenes Folk-Programm. Auf über 4.000 Mitwirkende kommt das Festival in jedem Jahr – nicht zuletzt dank der kopfstarken Dudelsackensembles. Mehrere hundert ehrenamtliche Helfer sorgen in ihrem Sommerurlaub für einen reibungslosen Ablauf. Lorients Bevölkerung weiß, daß die nicht besonders hübsche Hafenstadt ihre Bekanntheit und damit den Großteil ihrer touristischen Einnahmen dem Festival verdankt.

Und das wächst immer weiter. Sein Leiter Jean-Pierre Pichard freute sich, daß erneut über 20 Prozent mehr Besucher als im Vorjahr kamen – ein schönes Geschenk, denn in diesem Jahr feierte das Festival 25jähriges Jubiläum. Musikalisch setzte man deshalb diesmal ganz auf die Altmeister. Alan Stivell, der schon im ersten Jahr mit dabeigewesen war, stellte diesmal seine gelungene neue Platte, „Brian Boru“, vor. Auch Tri Yann präsentierten eine neue CD; „Portrait“ knüpft nach einigen schwächeren Jahren an die großartigen Alben der 80er Jahre an. Aber die bretonische Musikszene floriert auch jenseits der alten Garde, und junge Gruppen wie Ar Re Youank und Tan Ban Ty bewiesen, welche Dynamik den alten bretonischen Tänzen zu entlocken ist.

Bedauerlicherweise steht Folkmusik bei vielen MusikredakteurInnen heutzutage schnell unter Nationalismusverdacht, besonders dann, wenn sie erklärtermaßen der

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Wahrung kultureller Identität dient. Natürlich wird in Lorient hin und wieder unfreundlich über England und Frankreich gesprochen („What is the difference between English culture and yoghurt?“ – „Yoghurt is still alive.“). Aber letztlich geht es in der Bretagne schon lange nicht mehr um Separatismus und politische Autonomie, sondern vielmehr um die Verteidigung kultureller Entwicklungsmöglichkeiten gegenüber einer übermächtigen Dominanzkultur.

Entwicklung – damit ist nicht nur eine Öffnung der traditionellen Musik in Richtung Folk und Rock gemeint – das geschieht schließlich ohnehin –, auch die E-Musik soll „infiziert“ werden. Deshalb gibt die Festivalleitung immer wieder klassische Werke in Auftrag, in die Elemente der keltischen Musik einfließen sollen. Aufregende Symbiosen sind auch zwischen Jazz und bretonischer Folklore möglich. Nach mehreren Platten der Gruppe Ti Jaz hat sich in diesem Jahr der Bassist Alan Genty mit einem entsprechenden Projekt dem Festivalpublikum vorgestellt.

Trotz wachsenden Niveaus und wachsenden Zuspruchs muß sich das Festival Interceltique aber nach wie vor von der Pariser Kulturbürokratie mit einigen hunderttausend Franc abspeisen lassen, während andere international renommierte Kulturereignisse gerne mit Millionenbeträgen unterstützt werden. Jean-Pierre Pichard glaubt allerdings, daß sich Paris diese Ignoranz nicht mehr lange leisten kann. Seit er zum Präsidenten der Vereinigung französischer Festivals gewählt wurde, habe sich das Interesse an Lorient schon stark erhöht. FreundInnen des Festivals sehen sein Buhlen um staatliche Zuschüsse dagegen mit gemischten Gefühlen. Sie haben Angst, daß dieses Schaufenster und Laboratorium der bretonischen Kultur zu stark vom Zentralstaat abhängig werden könnte.

Ohnehin läuft das Festival derzeit Gefahr, einiges von seinem Charme zu verlieren. Im letzten Jahr wurde erstmals auf den kostenlosen Zeltplatz für auswärtige Folk-FreundInnen verzichtet, mit der Begründung, dort hätten sich zu viele Hippies und Drogenabhängige eingefunden. Das Entstehen eines wilden Zeltplatzes wurde tagelang mit Polizeipatrouillen verhindert. Und in diesem Jahr leistete es sich die linke Stadtverwaltung Lorients, jede nicht vom Festival autorisierte Straßenmusik schlichtweg zu verbieten. Auch die freiwilligen HelferInnen wurden brüskiert: Ausgerechnet beim besonders begehrten Konzert von Alan Stivell wurde ihnen der freie Eintritt verwehrt.

Jean-Pierre Pichard verweist dagegen stolz darauf, daß das Konzept des Festivals Interceltique inzwischen nicht nur in Schottland, den Vereinigten Staaten, Kanada und Australien kopiert wurde, sondern es inzwischen sogar ein keltisches Festival in Tokio gibt. Aber über Zukunft und Entwicklung der bretonischen Kultur wird wohl doch eher zu Hause in Lorient entschieden.

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