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„Blitze! Wasser! Regen!“

Trieb's schon toll, dieser Ludwig II.: Eine kurze Bilanz zu des „Märchenkönigs“ 150., der heutigen Jugend zur Mahnung ins Stammbuch geschrieben  ■ von Walter Saller

In sein Tagebuch schreibt der 18jährige Jüngling nur ein einziges Wort: „König“ – quer über die ganze Seite. „Herrliches Lockenhaar“, „durchdringende Augen“, jeder Zoll ein „Märchenkönig“, schwärmen dagegen die Zeitgenossen, als Ludwig II. 1864 zum Herrscher aller Bayern wird.

Gleich zu Beginn seiner Regentschaft umbalzt der riesige Wittelsbacher den seit Kindertagen verehrten Richard Wagner. „Herr meines Lebens! Heiland, der mich beseelt...“ uund so weiter, lockt der schöne König den bankrotten Kompositeur. Und Wagner turtelt mit. München oder Schuldturm heißen seine Alternativen. Bald freilich wird der „ungesunde Einfluß“ des einst steckbrieflich gesuchten Revolutionärs auf den jungen König ruchbar. Und als Ludwig seine Hochzeit mit Sissis Schwester Sophie platzen läßt, muß der Tonsetzer gehen. Der König tobt, rast, droht mit dem Niederbrennen Münchens, der Abdankung, dem Exil. Von da an haßt er seine Residenz und die Bayern abgrundtief. Immer öfter flieht er in die Berge, steigert sich in einen Wagner-Wahn.

Irgendwann im Laufe des Jahres 1868 verdichten sich seine Visionen zur fixen Idee. Ein absolutes Traumschloß für einen absoluten Monarchen muß her. Der Plan schwillt zur monströsen Phantasmagorie: Neuschwanstein. 1869 beginnt Ludwig mit dem Bau seines Alpen-Tadsch-Mahals. Das Geld schickt Bismarck. Im Gegenzug überträgt der glückliche König Bayerns Souveränität an den Preußenkanzler. Von Architekten – „zu wenig Schwung!“ – hält Ludwig nichts. Bühnendekorateure entwerfen die Räume, Säle, Kabinette, Grotten und Erker. Furios vermischen sie neugotische, byzantinische, maurische, romanische, barocke Kulissen. Das Ziel wird immer augenfälliger: eine gigantische Wagner-Bühne. Die Kolossalkulisse ist teuer, der König verbaut Unsummen in Neuschwanstein, wenig später auch in Linderhof. Auf dem Schachen zwischen Tirol und Bayern errichtet er ein marokkanisches Teehaus. Dort verbringt Ludwig seine Geburtstage, in türkischer Tracht, zu seinen Füßen die als Mohammedaner kostümierte Dienerschaft.

Das Geld wird immer knapper, der König immer exzentrischer. Warnende Minister und rechnende Kassenwarte verbannt er aus seinem Umfeld. Und im verhaßten München fährt er ohnehin nur noch in die große Oper. In mehr als 200 Separatveranstaltungen läßt er sich alle Mozart-, Wagner- und Weber-Opern vorführen. Es kommt zu bizarren Auftritten. Während der Gewitterszene im Freischütz schreit Ludwig: „Ich will richtigen Regen haben! Das Wasser soll aufgedreht werden!“ Das Personal zögert, „Blitze! Wasser! Regen!“ plärrt Ludwig. Am Ende ist die Oper fast ruiniert, und der Hof murrt.

Ludwig hat genug von der jämmerlichen Bananenmonarchie mit ihren kleinlichen Buchhaltern und Beamten. Er meidet Minister und Volk, zieht sich völlig zurück. Schließlich läßt er eine Insel suchen. In Afrika, Asien, Südamerika, egal wo. Dort will er König sein. Doch die Trauminsel wird nicht gefunden, und so kauft Ludwig 1878 Herrenwörth im Chiemsee. Er plant eine exakte Kopie von Versailles. In Originalgröße. Von Entwurf zu Entwurf steigert sich die Vorstellung Ludwigs, tropisch blüht sein Versailles auf.

Anfang der achtziger Jahre trägt der Wahnsinn des Königs längst tausend Gesichter. 1881 unternimmt er mit seiner letzten Liebe, dem Hofschauspieler Joseph Kainz, seine letzte Reise. An Schweizer Originalschauplätzen soll Kainz dem König Szenen aus Schillers Wilhelm Tell vortragen. Die Reise endet mit einem Fiasko. Kainz geht nach Berlin.

Ludwig rückt endgültig von der Welt ab. Er verkehrt nur noch mit Lakaien und Stallmeistern, führt tagelange Selbstgespräche und speist allein. Nur gelegentlich teilt er die Tafel. Mit seinem Lieblingspferd. Er frißt unmäßig – über und über mit Soßen, Suppen und Mayonnaisen bespritzt. Aus dem Märchenkönig ist ein mürber Greis geworden; fett, zahnlos, verwahrlost. Die Tage verbringt er im Bett, schläft stets genau neun Stunden und vierzig Minuten. Des Nachts aber rast er in phantastischen Prunkkarossen wie von Furien gejagt durch die Alpen.

1885 belaufen sich die Schulden auf über 20 Millionen Mark, heute eine Milliardensumme. Die Zwangspfändung droht. Die Minister fordern die sofortige Einstellung aller Bauten. Ludwig denkt nicht daran, er hat neue Pläne: einen byzantinischen Palast, eine chinesische Residenz, ein zweites Neuschwanstein. Schließlich beauftragt er seinen Hoffriseur mit der Suche nach besseren Ministern und will Diebe dingen, um Bankhäuser auszurauben. Für seine letzten Getreuen führt er das chinesische Hofzeremoniell ein. Sie dürfen sich nur noch auf dem Bauche kriechend nähern oder von außen durch verschlossene Türen Befehle entgegennehmen...

Am 10. Juni 1886 trifft schließlich die „Fangkommission“ auf Neuschwanstein ein. Sie verbringt den für geisteskrank erklärten Ludwig – Diagnose: Verfolgungswahn – ins Schloß Berg am Starnberger See. Drei Tage später werden der König und sein Psychiater Dr. Gudden tot aus der seichten Uferzone gefischt. Die Weltkarriere des Märchenkönigs Ludwig II. beginnt.

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