Derbes fürs Mädchenpensionat

■ Warnung vor den Freuden der Liebe: Barockes Leben und Treiben in Purcells Oper „Dido und Aeneas“, beim Musikfest

Henry Purcells einzige, 1689 enstandene kleine Oper „Dido und Aeneas“ ist nicht abendfüllend. Auch ist keine Originalmusik von einem Prolog und Epilog überliefert, die es mal gegeben haben muß – man muß sich also was einfallen lassen, wenn man das Werk – wie jetzt beim Bremer Musikfest – als großen Opernabend verkaufen will. Und da hatten für die Aufführung im Theater am Goetheplatz das „Opera Atelier Toronto“ und „Les Musiciens du Louvre“ eine gute Idee.

Sie stellten der Aufführung eine Trauerode auf den Tod von Henry Purcell voran, die ihrerseits eine kleine Szene ist: die Todesbotschaft erreicht ein fröhliches Hirtenfest. Der heute unbekannte Komponist dieser Szene, Jeremiah Clarke, war ein Schüler des großen Henry Purcell, die Klagelieder richten sich denn auch an dessen überlebensgroßes Porträt. Diese Einbettung wirkt stimmig, weil selbstredend das „Opera Atelier Toronto“ keine wie auch immer aktualisierende szenische Wiedergabe bietet, sondern uns ganz einfaches, ganz bezauberndes Barocktheater zeigt. Ob das Stück bei der Uraufführung die im puritanischen England beabsichtigte Wirkung hatte, nämlich junge, adlige Mädchen vor den Freuden der Liebe zu warnen, wissen wir nicht.

Die in der Weltliteratur berühmt gewordene Geschichte der vom trojanischen Prinzen Aeneas verlassenen karthagischen Königin Dido entfaltete sich vor uns in archetypischen Bildern und Gesten, ergänzt durch die Geometrien barocker Tanzkunst. Die Aufführung lebte stark aus dieser Spannung, jedenfalls machte diese szenische Lösung die Musik zum ausschließlichen Ausdrucksträger.

So wurde Didos Tod – keine große Mezzosopranistin, die nicht das „Remember me“ der Dido im Repertoire hätte – zu der zentralen und einer ergreifenden Szene: blumengeschmückt geht Dido in den Freitod. Daß mit dem Untergang der Dido auch die Zerstörung Karthagos eingeleitet wird, könnte beispielweise Ansatzpunkt einer „interpretierenden“ Inszenierung sein. Hier indes gab es wunderschöne Bilder und bunte Farben, auch naiven und virtuosen Spaß: der Tanz der Seeleute mit ihren Paddeln, die derben Späße am Hirtenfest, das entfesselte Gewitter und vieles mehr: deftiges Theater, das an manchen Stellen noch üppiger hätte sein dürfen, auch einfallsreicher in den Wechseln der unterschiedlichsten Gefühle auf so knappem Raum, wie Purcell sie gestaltet hat.

Die Bewegungsideen des Regisseurs Marshall Pynkowski griffen auch nicht durchgehend: Es sind halt SängerInnen, die stilisierte Bewegungen einfach nicht ausreichend beherrschen. Umso wichtiger wurde die Musik, die Dirigent Marc Minkowski mit einem außerordentlichen Maß an historischen Kenntnissen und gleichzeitig einer geradezu romantischen Inbrunst sorgfältigst gestaltete: Für Purcells Ausdrucksreichtum, der mit ganz wenigen Rhythmen und Instrumentierungen sehr genaue Situationen bezeichnet, blieben keine Wünsche offen.

Linda Maguire als Dido, Brett Prolegato als Aeneas und vor allem die pfiffige Shari Saunders als Belinda überzeugten vor allem mit ihrem Gesang: heute nicht mehr vorstellbar, daß dieses Stück für ein Mädchenpensionat geschrieben und dort auch aufgeführt wurde (nur der Aeneas war damals ein männlicher Gast). Hervorragend der kleine Kammerchor, der im Orchester aufgestellt war. Der kurzweiligen Aufführung dankte das Publikum mit großem Beifall.

Ute Schalz-Laurenze