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Verwehte polnische Spuren

■ Das Stadtforum tagte zum 50. Mal. Zukünftige Beziehungen von Berlin und der Region nach Osteuropa sollten ausgelotet werden

Verschiedener hätten die Veranstaltungen kaum sein können: Auf der einen Seite die Ausstellung „Berlin Moskau 1900–1950“ im Martin-Gropius-Bau, auf der der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen und sein Moskauer Kollege Luschkow die historischen Beziehungen zwischen den beiden Metropolen beschworen. In den Werken der bildenden Kunst, der Musik, der Literatur sowie des Theaters, so die Politiker, zeigten sich bis dato die engen Beziehungen und Verflechtungen, aber auch die Widersprüche und kriegerischen Konflikte beider Staaten. Dazu floßen Wodka und Berliner Weiße.

Auf der anderen Seite tagte das Stadtforum zum fünfzigsten Mal mit dem Thema „Die Bedeutung von Berlin und Brandenburg in Europa“ – speziell Osteuropa. Was für ein Thema! Doch von der Euphorie der Festwochen und der Ausstellung war hier wenig zu spüren. Berlin und die Region, so könnte man resümieren, haben unklare Ansprüche an ihre östlichen Nachbarn und sehen eher bange als mutig über die Oder nach Warschau oder Moskau.

Die Ursachen dafür liegen in der eigenen Kleinmütigkeit, Provinzialität und in der neueren Geschichte begründet. Nach wie vor herrsche in der Region ein „latenter Rassismus“, sagte der Wirtschaftswissenschaftler Ulrich Pfeiffer.

Zu vorsichtig, ängstlich und zu wenig innovationsfreudig würden Politiker und Unternehmen in Richtung Osten operieren und dabei Entwicklungschancen verkennen. Pfeiffer: Die Öffnung nach Osten sei nichts Ungewöhnliches für Berlin und Brandenburg, es gehe „um die Wiederherstellung eines historischen Zustandes“, den Austausch von Menschen, Ideen und Produkten.

Davon sind die Regionen noch weit entfernt, glauben Berlins Finanzsenator Elmar Pieroth und Brandenburgs Wirtschaftsminister Burkhard Dreher. Berlin komme wirtschaftlich und mental nicht in Fahrt, sagte Pieroth. Zugleich mangele es in Polen oder in Rußland an einer „Unternehmenskultur“, die zum gemeinsamen Handeln und Austausch notwendig sei.

Bei soviel Schwarzmalerei wollte es Dreher nicht bewenden lassen. Das Land an der „Nahtstelle zum Wohlstandsbruch“ suche die östlichen Nachbarn zu stabilisieren. Die Grenzregionen sollen wirtschaftlich gefördert und die Unternehmen stärker miteinander „vernetzt“ werden. Die Landesregierung in Potsdam setze auf die „Kreativität“ im Osten, so Dreher. Impulse erhofft sich der Minister vom Bau der Autobahnen nach Stettin, Warschau und Prag sowie von neuen Eisenbahnstrecken in Polen. Entlang dieser Radialen könnte ein „Wirtschaftskorridor“ entstehen.

Es blieb dem polnischen Botschafter Janusz Reiter vorbehalten von Berlin und Brandenburg Ostpolitik und nach Osten gerichtete Wirtschaftsentwicklung einzufordern. Es könne nicht im Interesse Berlins liegen, so Reiter, daß die Region die östliche Grenze der EU darstelle.

Gemeinsame Strategien zum Aufbau der Grenzregion und ihrer wirtschaftlichen Besonderheiten - Stettin mit Hafen, Frankfurt an der Oder und die Europa-Universität, die Ostsee als Handels- und Touristenküste, Posen als Industriestandort – müßten erarbeitet werden, um die „bestehende Kluft“ zu überwinden. Berlin bedeute für Polen, das seine Außenhandelsbilanz 1994 um eine Milliarde Mark steigern konnte, einen Impulsgeber für die östlichen Märkte. Reiter forderte eine Liberalisierung der Wirtschafts-, aber auch der Einwanderungs- und Sozialpolitik für Polen in Deutschland.

Ganz am Ende strahlte dann noch die östliche Geschichte ins Stadtforum herüber, erinnerte doch Reiter an die „polnischen Spuren“ in Berlin. Im vergangenen Jahrhundert lebten zigtausend Polen in der Stadt. Offiziere und Adelige dienten dem preußischen Staat. Und Berlin hatte einen polnischen Polizeipräsidenten mit Namen Podbielski. Rolf Lautenschläger

Siehe Kommentar auf Seite 21

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