: Uwe heißt der große Erlöser
Gegen Schalke 04 reichte es für den Hamburger SV nur zu einem 1:1, doch aus der Ferne grüßt bereits der neue, ersehnte Punktelieferant ■ Aus Hamburg Jan Feddersen
Seit einer Woche darf Hamburg auf Erlösung hoffen. Der schlichte Grund: Ein früherer Fußballnationalspieler wird im November für das Präsidentenamt beim HSV kandidieren. Uwe Seeler heißt der Mann, ist 58 Jahre alt und wird immer noch „uns Uwe“ gerufen. Die Anhängerschaft des Hamburger SV nimmt die Ankündigung wie eine Garantie auf sechs Richtige im Lotto: „Uwe Seeler, Uwe Seeler“, rief die Westkurve schon eine Stunde vor dem Anpfiff gegen Schalke 04. Und wenn Uwe Seeler, der Mann der schlichten Worte („Ich meine, die Mannschaft muß kämpfen, da gibt es gar nix“) und Wahrheiten („Ich glaube, daß alle an einem Strang ziehen müssen“), sich vor dem Spiel in den Mittelkreis gelegt hätte, wäre das Volksparkstadion zum Hamburger Mekka erklärt worden.
Menschen außerhalb Hamburgs verstehen vielleicht nicht, weshalb an der Elbe soviel Wirbel gemacht wird um einen Fußballverein, der seit dem Gewinn des europäischen Meisterpokals 1983 nur noch selten sportliche Delikatessen servieren konnte. Schließlich geht es den Teams aus Frankfurt oder Köln nicht anders – man hält Mittelmaß und weiß, daß mehr kaum drinliegt, solange die Bayerns, Dortmunds und Werders der Branche die Plätze in den europäischen Wettbewerben unter sich ausmachen. Denn Geld für Verstärkungen haben sie keines, der HSV schon gar nicht.
Doch beim HSV schätzt man derlei Realismus nicht. Man ist eingeschnappt über den Lauf der Dinge. Zwar haben auch andere Klubs den Trend zum Ereignisfußball verschlafen, mißlich ist nur, daß dem Verein vor der eigenen Tür vorgemacht wird, wie Fußball und Lifestyle zusammengelebt werden können – durch den FC. St. Pauli. Doch der letzte Angestellte beim HSV, der gegen den Dünkel predigte und den Verein vom Hautgout des dicklichen Aufsteigertums befreien wollte, wurde im Frühjahr gefeuert: Manager Heribert Bruchhagen. Man ist schließlich wer, auch wenn die Erfolge inzwischen erinnert werden müssen.
„Bald ist Winter“, beklagte der NDR-Moderator Uwe Bahn, „und ich möchte doch endlich mal wieder meinen selbstgestrickten HSV- Schal umbinden können – ohne gehänselt zu werden.“ Was nützt es da, daß Trainer Benno Möhlmann für Gelassenheit plädierte. Zwar hat der HSV bislang die drittmeisten Treffer erzielt und auch in der zweiten Halbzeit gegen Schalke 04 angedeutet, daß die bekennenden Nicht-St.-Paulianer kaum abstiegsgefährdet sind, doch ein Sieg sollte her.
„Zwei Spiele Gnadenfrist“, blies Bild vor der Partie zur Hatz. Möhlmann selbst: „Es gibt keine Gnadenfrist.“ Würde er die Schlagzeilen gegen ihn als Mobbing bezeichnen? Möhlmann lächelt und sagt: „Man weiß ja, woher der Ton kommt.“ Mit Uwe Seeler werde er gut auskommen. „Möhlmann muß sagen, ob er weitermachen will“, forderte dieser. Der Trainer darauf: „Mein Vertrag endet am 30.6.1996.“ Tormann Richard Golz nerven die Querelen: „Wir sind am Anfang der Saison. Woher wollen eigentlich alle wissen, daß wir schlecht sind?“
Ob sich überhaupt vom 27. November an, wenn „uns Uwe“ inthronisiert sein wird, irgend etwas ändert, bleibt freilich schon deswegen offen, weil hinter Seeler nur Namen stehen, die in Hamburg für (Rathaus-und-Handelskammer-)Filz stehen, aber nicht für Modernität, Charme und so etwas wie hanseatische Gelassenheit. Volker Lange beispielsweise war zehn Jahre lang Senator – und politisch von so antiliberaler Kontur, daß selbst Bürgermeister Voscherau sich gegen ihn wie eine Sonnenblume ausnimmt. Die Sponsoren werden sich gewiß freuen, es mit einem zu tun zu bekommen, der stets so guckt, als habe ihn seine Mutter nachts geweckt, um ihm Lebertran zu verabreichen – leichenbitter.
Uwe Seeler war leibhaftig gar nicht beim Spiel. Wie es hieß, habe er einen Urlaub angetreten. Er wird wissen, daß danach das beschauliche Leben als Familienvater, Tennisspieler und Adidas-Vertreter ein Ende hat. Die Westkurve – deren Mitglieder meist noch nicht geboren waren, als Uwe Seeler für den HSV Tore schoß – zog nach dem 1:1 friedlich nach Hause. Ihr letzter Hilfeschrei: „Uwe Seeler“.
Schalke 04: Lehmann - Thon - Kurz, Eigenrauch - Latal (88. Ksienzyk), Nemec, Müller, Weidemann, Büskens (67. Prus) - Max, Mulder
Zuschauer: 20.377; Tore: 0:1 Max (22.), 1:1 Ordenewitz (60.)
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen