piwik no script img

■ Nebensachen aus KairoPeking aus der Ferne

„Hast du von ihnen gehört?“ fragte mich mein französischer Freund Christian in der Hoffnung, Neues von seiner algerischen Freundin Leila zu erfahren. „Das letzte, was ich von ihr und meiner Frau gehört habe, war, daß sie gestern zusammen die Chinesische Mauer besucht haben“, entgegnete ich. Vom anderen Ende der Leitung war ein tiefer Seufzer zu hören: „Ach ja... China – Peking – die Mauer.“ „Und was machst du so die Tage?“ versuchte ich die Konversation anzutreiben. „Schaffen, schaffen und noch einmal schaffen.“ Seit Leila sich zur Frauenkonferenz abgesetzt hat, brennen in Christians Stadtplanungsbüro auch nachts die Neonleuchten.

Mehr als 40.000 Frauen diskutieren derzeit in Peking. Ihre Hinterlassenschaft, Tausende Männer zwischen Nord- und Südkap, dies und jenseits von Pazifik und Atlantik, kämpft unterdessen an der Heimfront. Da ist zum Beispiel der Ägypter Amr, dessen Frau Heba mit unseren Frauen im Flugzeug nach Peking saß. Sein zweijähriger Sohn stellt ihm ganz besondere Aufgaben. „Heba erkannte immer im voraus, wenn der Kleine in die Hosen scheißt. Sie hat mir das einmal genau erklärt. Er bewege sich dann so merkwürdig“, erzählt er. Nun hält Amr seinen Sohn unter scharfer Beobachtung auf der Suche nach komischen Gebärden und Regungen. Doch meist bemerkt er die Bescherung zu spät.

Mein eigener, neun Monate alter Sohn macht inzwischen seine ersten Erfahrungen mit Flaschenmilch: Drei Eßlöffel Milchpulver auf 180 Milliliter Wasser. Sanft wiege ich ihn auf meinem Schoß, die Flache auf eigener Brusthöhe angesetzt, mit dem Nippel leicht schräg von oben auf ihn herunterschauend. Doch die Illusion wirkt nur begrenzt. Ein Blick in das verwunderte Gesicht meines Sohnes bringt mich auf den Boden der biologischen Realität zurück. Wie viele Männer werden sich wohl derzeit ihrer natürlichen Unvollkommenheit bewußt?

Jene, die allein gelassen zwischen verschissenen Windeln und dem täglichen Abwasch sind, mögen die Chance ergreifen, um über die Ungerechtigkeit der Welt zu reflektieren. Einer Welt, in der Millionen von männlichen Geschäftreisenden und Teilnehmern so mancher Konferenzen mit der größten Selbstverständlichkeit ihre Partnerinnen im häuslichen Mief zurücklassen.

An Dreisamkeit gewöhnt und ausgestattet mit dem männlichen Drang zu sofortiger praktischer Lösungen aller Lebensfragen, habe ich mir und meinem Sohn gestern erst einmal einen Kanarienvogel gekauft. Statt der Stimme meiner Frau, dachte ich mir, lauschen wir gemeinsam seinem Trillern. Mein Sohn zeigt sich begeistert. Seitdem suche ich zu verhindern, daß er mit wuchtigen Schlägen auf den Käfig den verängstigten Vogel zu lauterem Singen anzuregen versucht.

Zwischendrin klingelt dann das Telefon: „Hallo, Schatz... Ist alles klar bei euch? Also, hier in Peking ist es unglaublich interessant. Gestern hatten wir einen Arbeitskreis...“ Karim El-Gawhary

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen