: Ach wie gut, daß niemand weiß ...
■ ... daß ein Erfolg des heutigen britisch-irischen Gipfels keinen Durchbruch im Nordirland-Friedensprozeß gewährt
Dublin (taz) – Höher schlugen die Erwartungen vor einem anglo- irisches Gipfeltreffen nie. Beobachter hoffen auf den entscheidenden Durchbruch im nordirischen Friedensprozeß, wenn sich der britische Premierminister John Major und sein irischer Amtskollege John Bruton heute nachmittag in Chequers, dem englischen Landsitz Majors, treffen.
Seit Monaten ist die Situation in der britischen Krisenprovinz festgefahren, weil sich die Londoner Regierung im Frühjahr auf die Herausgabe der IRA-Waffen als Vorbedingung für Allparteiengespräche versteift hatte. Schon damals warnte der irische Außenminister Dick Spring, daß Major sich „an einen Haken hängt, von dem man ihm später wieder herunterhelfen“ müsse. Sinn Féin („Wir selbst“), der politische Flügel der IRA, machte deutlich, daß für die IRA weder eine Herausgabe noch eine „Ausmusterung“ der Waffen in Frage komme.
Das Thema hat große symbolische Bedeutung: Für die IRA käme die Aushändigung der Waffen einer Kapitulation gleich, während Major eine solche Geste benötigt, um von den protestantischen Unionisten – sie treten für den Verbleib Nordirlands im Vereinigten Königreich ein und verhelfen Majors Tories im britischen Unterhaus zur parlamentarischen Mehrheit – nicht des Ausverkaufs ihrer Interessen bezichtigt zu werden. Allen Beteiligten ist natürlich klar, daß sich sowohl IRA als auch protestantische Paramilitärs im Handumdrehen neue Waffen besorgen können, sollte der Friedensprozeß schiefgehen.
Bruton betonte deshalb vor kurzem, es müsse reichen, wenn Sinn- Féin-Präsident Gerry Adams glaubhaft eine „dauerhaften Waffenruhe“ verspreche. Druck kam auch aus den USA: Präsident Bill Clinton wünscht, daß die Allparteiengespräche schon im Gange sind, wenn er Ende November nach Belfast reist.
Major und Bruton wären gerne Friedensbringer
Die irische Regierung setzte Major schließlich vor anderthalb Wochen in der Abrüstungsfrage die Pistole auf die Brust und drohte, das Gipfeltreffen platzen zu lassen, falls sich bis dahin kein Kompromiß abzeichne. Das Ultimatum löste hektische diplomatische Aktivitäten aus. Bruton und Major führten drei lange Telefongespräche, und in Dublin traf das irische Kabinett am Montag mit einer Sinn-Féin-Delegation zusammen. Fast wäre es dabei zum Eklat gekommen, weil Adams den Dubliner Sozialminister Proinsias De Rossa ständig als „mein ehemaliger Führer“ titulierte. Damit spielte er auf dessen Rolle als IRA-Kommandant in den fünfziger und sechziger Jahren an. Inzwischen ist De Rossa Vorsitzender der Sinn-Féin-Abspaltung „Demokratische Linke“, die in der Koalitionsregierung sitzt. Gestern zeichnete sich eine Einigung ab: Offenbar soll eine Internationale Kommission sich ein Bild von der Situation machen. Gelangt die zu der Überzeugung, daß die paramilitärischen Organisationen beider Seiten künftig „nie wieder zur Gewalt greifen“ werden, würde die Kommission die Gewähr dafür übernehmen, was hieße, daß Allparteiengespräche auch ohne eine vorherige Waffenabgabe stattfinden könnten. Bruton sagte, es gehe beiden Regierungen darum, ein Verfahren zu finden, das das Vertrauen zwischen den nordirischen Parteien fördere, bevor man alle an den Runden Tisch bitten will.
Einige Plätze werden dann jedoch trotzdem leer bleiben. Die „Demokratische Unionistische Partei (DUP) des rabiaten Presbyterianer-Pfarrers Ian Paisley lehnt die Internationale Kommission als „ersten Schritt eines britischen Rückzuges und die Einmischung der Vereinten Nationen in Nordirland“ ab.
Wenig Kompromißbereitschaft ließ auch die IRA erkennen, die sich kürzlich zum ersten Mal seit der Verkündung des Waffenstillstands vor einem Jahr zu Wort meldete. Ein Sprecher sagte auf der Pressekonferenz, die IRA sei „tief enttäuscht über die Rolle, die die britische Regierung im Friedensprozeß bisher gespielt“ habe. Eine IRA-Waffenausmusterung, fügte er hinzu, stehe „überhaupt nicht zur Debatte – weder durch die Vordertür, noch durch die Hintertür“. Ralf Sotscheck
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