: Kampfhühner, Kichererbsen
■ Der instandbesetzte Capellehof im Blockland: ein Wunschort unter der Abrißbirne
Ganz hinten, im Busch, am Fuß der Blocklanddeponie, liegt versteckt ein seltsames Haus. Vor tausend Jahren hat hier eine Kapelle gestanden. Die Leute erzählen von Morden, die bei Kriegsende im Keller stattfanden. Mal wohnten hier zwei Alte, die man selten sah, mal ein komischer Kerl. Zuletzt stand das Haus ein Jahr lang leer. Durch Löcher im First regnete es rein. Nur noch in einem Stall in der Hofeinfahrt hockten traurige Hühner. „Kampfhühner“, munkelte man, von eigenartigen Leuten gefüttert, die auch Kampfhunde besitzen. RadlerInnen, die durchs Blockland fuhren, warfen vorsichtige Blicke aufs marode Idyll. Einige dieser RadlerInnen haben am Montag Kochtöpfe mitgebracht und sind eingezogen. InstandbesetzerInnen. Seitdem ist wieder Leben an dem seltsamen Ort.
Einer sitzt im Gras und zeichnet. Irgendwo sägt es. Ein dritter zieht mit dem Schlafsack übern Hof. Es sind junge Menschen, eigenwillig gekleidet, manche haben bunte Haare. Wie viele sie sind, können nicht einmal sie selbst sagen. Zehn? Fünfzehn? Im Haus haben sie Müll weggeräumt und einen Ofen angeschlossen. Eigentlich ganz trocken hier. Nur an manchen Stellen kommt die Decke runter. Etliche Balken sind faul oder wurmig. Ein Wasserhahn im Keller führt überraschend Wasser, niemand weiß woher. Strom gibt's nicht. Dafür etliche bewohnbare Zimmer. Die Küche ist wohnlich. Ein Topf mit Kichererbsen steht auf einer alten Küchenhexe. Eine hat einen Spruch an die Wand gemalt: „Nachher, sagte der Fisch und lachte.“
„Der Capelle-Hof muß jetzt gerettet werden", haben die jungen Leute auf ein Flugblatt geschrieben. Und daß der Besitzer, ein Arster Bauer namens Bätjer, den Hof abreißen lassen will. Die Genehmigung hat er schon. Nur weiß er nicht, was dann. Vielleicht ein Stall? So gammelt das Anwesen weiter. Die InstandbesetzerInnen haben ihn nun zum Handeln gezwungen. Mittwoch abend zeigte er sie bei der Polizei wegen Hausfriedensbruchs an. Wenn das Haus sprechen könnte, würde es sagen, sein Frieden sei keineswegs gebrochen worden. Auf seinem Dach lehnt eine lange Leiter. Die Löcher des Reetdachs werden jetzt gestopft.
Da kommt die Polizei. Doch die BesetzerInnen haben keine Angst. Herrn Neuhaus kennen sie schon. Vom Weidedamm. Herr Neuhaus findet die BesetzerInnen sympathisch. Er wollte mal nach ihnen sehen. Und einen Tip geben: Der junge Mann mit dem Wohnwagen und den vielen Viechern soll lieber nicht hierher umziehen. Das gäbe noch mehr Ärger. Und ob sie schon mit den Nachbarn geredet hätten. Haben sie. Die Bauern seien ganz aufgeschlossen gewesen. Als nächstes sind die Parzellisten dran. Das wird ein härteres Brot.
Überrascht von der Besetzung war nicht nur Bauer Bätjer. Dieses Haus hatte schon andere angezogen. Ein Bremer Historiker hat sich ausgiebig mit der Geschichte der historischen Hofstelle befaßt und plante schon länger, den Capelle-Hof zu retten. Auch der Hollerlandschützer Gerold Janssen hat ein Auge auf den Hof: Er möchte dort einen Biohof installieren. Passend dazu gibt's auch schon einen Biobauern ohne Hof. Nun muß sich der Besitzer entscheiden: Gutwillige RetterInnen gibt's genug. Die Alternative wäre eine Räumungsklage. Aber das kann dauern. Ihren „Infotag“ am Sonntag ab 12 Uhr (mit „Infocafé“) werden die Besetzer noch durchführen können. Am Sonntag ist übrigens „Tag des offenen Denkmals“.
Es könnte unheimlich schön werden hier. Das sagen aber nur die Augen der BesetzerInnen, unter ihnen MalerInnen, Steinmetze, vermutlich sogar DichterInnen, sicherlich LebensküstlerInnen, hach! Es könnte so viel hier laufen. Aus ihren Mündern kommt aber immer nur der eine Satz: „Wir sind Hausretter.“ Sie sagen, sie können sich vorstellen, daß sie das Haus verlassen, wenn es jemand saniert. Felix sagt es so: „Es gibt hier keinerlei Legitimation für ein linkes Projekt. Wir sind Extremrealisten.“ Utopielosigkeit als Programm, um NachbarInnen und UnterstützerInnen nicht zu verschrecken – das fällt schwer.
Einer hockt auf der großen Diele und sägt. Mit einem winzigen Fuchsschwanz ein dickes Eichenbrett. „Für Paddel“ sagt er, „da drüben am Fleet liegt ein Boot ohne Paddel.“ Er sägt und sägt und ist glücklich. „Ich werd' mir hier ein paar schöne Tage machen,“ sagt er. Der Wind über dem Hof weht melancholisch. Die Sonne steht schräg. Die seltsame Geschichte des Capelle-Hofes ist noch nicht zu Ende. Burkhard Straßmann
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