piwik no script img

Kaisersaal in der Teflonpfanne

Potsdamer Platz: Baubeginn von Sony beendet die Geschichte des Hotel Esplanade. Der Frühstückssaal wurde zersägt, der Kaisersaal wird verschoben  ■ Von Rolf Lautenschläger

Am Potsdamer Platz „bewegen“ sich die Häuser. Die ersten Neubauten gehen in die Höhe, andere in die Breite. Manchmal, wenn von riesigen Baubaggern Tiefenbohrungen für Fundamente in dreißig Meter Tiefe vorgenommen werden, wackeln die Wände der beiden noch verbliebenen Bauten am Potsdamer Platz: im Weinhaus Huth und im früheren Hotel und Ballhaus Esplanade.

Wenn morgen das japanische Elektronikunternehmen Sony mit den Bauarbeiten für sein Milliardenprojekt auf der Westseite des Potsdamer Platzes beginnt, steht eine „Hausbewegung“ an, die ebenso spektakulär wie bedenklich ist. Weil die Neue Potsdamer Straße zwischen den Glaskästen von Sony und den wuchtigen debis/ Daimler-Blocks zur Rennpiste auf 52 Meter verbreitert werden soll, wird der historische Kaisersaal auf der Rückseite der Esplanade-Ruine an eine andere Stelle versetzt.

Die Verschiebung des alten Raumes, auch „Translozierung“ genannt, ist groteskerweise die erste neue Baumaßnahme von Sony. Die verbliebene Vorderfassade des Esplanade an der Tiergartener Bellevuestraße soll in die Neubauten des Chicagoer Architekten Helmut Jahn quasi mit eingebacken werden. Dahinter wird ein Büroturm mit 25 Geschossen in die Höhe wachsen. Den Rand des dreieckigen Grundstücks begrenzen neumodische Glaspaläste, und in der Mitte simuliert eine runde Plaza mit Video-Wänden eine Kinowelt der „Blade-Runner“-Generation.

Da paßt Vergangenes nicht recht ins geplante neue Bild. Der längliche Trakt des Kaisersaals „ragt bis zu Hälfte auf die zukünftige Neue Potsdamer Straße“, erklärt Sony-Sprecherin Karin Püttmann und zeigt auf dem Lageplan, wie die vorgesehene Trasse den Saalbau auf dem spitz zulaufenden Grundstück diagonal zerschneidet. Die Translozierung des 1.800 Tonnen schweren Saals an seinen neuen Standort rund 70 Meter weiter westlich wurde in den vergangenen Wochen „sorgfältig“ vorbereitet, sagt Püttmann.

Sichtbar sind die Stabilisatoren an der Außenhaut des Baukörpers, den Spezialfirmen wie ein rohes Ei behandeln. Damit der rund 90 Jahre alte, rund zwanzig Meter lange Bau nicht zusammenfällt, hat man das Innere „ausgesteift“, die Möbel und beweglichen Teile heraustransportiert und alle Stukkaturen mit Schaumgummimatten gesichert.

Die Umsetzung „wird Millimeterarbeit“, sagt ein Fachmann vor Ort. Um Beschädigungen des Raumes zu vermeiden, haben die Tiefbauer die Fundamente des Kaisersaals freigelegt und den Mamorfußboden ausgebaut. Unter dem Gebäude soll dann ein Stahlträgerrost eingezogen werden, der das Haus trägt, wenn die Fundamente abgesägt werden.

In den kommenden Wochen werden unter dem Trägerrost hydraulische Hubpressen installiert, die den ganzen Raum auf die Transporthöhe hieven. Für Karin Püttmann geht das weitere „ganz einfach“. Der Kaisersaal rutscht wie ein Spiegelei in der Pfanne von einem zum anderen Standort, wo er zwischen modernen Bauteilen dann endgültig bleiben soll.

„Unter dem angehobenen Kaisersaal werden eine teflonbeschichtete Gleitbahn und Stahlkufen installiert, die ihn dann 70 Meter rutschen lassen bei einer Geschwindigkeit von 42 Zentimetern pro Minute“, erklärt sie. Der kritische Augenblick des Manövers „wird das Anschieben und die zweimalige Drehung des Kolosses auf der Teflonrutsche bis zur neuen Baugrube“. Dort soll das Kaisersaalmobil angehalten und verankert sowie später als Restaurant wiedereröffnet werden.

Der Verschiebungsakt geht nicht allein auf das Konto des japanischen Elektronikriesen, der hier sein deutsches „Headquarter“ hochziehen will. Vielmehr hatte der Berliner Senat ebenfalls seine Hände im Spiel, als es 1992 darum ging, aus dem Straßenwirrwar im Schlagschatten der Mauer eine „Verkehrsfühung mit überregionaler Bedeutung“ zu konzipieren, wie der Verkehrsplaner Ural Kalender forderte. Nach der Festlegung des Bebauungsplans für den Potsdamer Platz war – der geraden Straßenführung in Richtung Leipziger Platz/Leipiger Straße wegen – vom Sony-Grundstück der Kaisersaal-Appendix abgetrennt worden. Sony erhielt Ersatzflächen und war nicht weiter traurig, wollte man doch das Innere des Kaisersaals zerlegen und Reste davon an anderer Stelle als historisches Versatzstück inmitten der glitzernden Bürowelt mit neuer guter Erschließung aufbauen.

Die Verlagerung stieß und stößt noch immer bei Denkmalschützern auf geteilte Zustimmung, kritisieren doch viele den Quasi-Abriß des denkmalgeschützten Hauses und die Rekonstruktion des Saals an anderer Stelle als „Täuschung“. Den kulturhistorisch wichtigen Raum und die letzten originalen Reste des Potsdamer Plaztes dürfe man nicht verspielen, so der Tenor. Der Stadtplaner Dieter Hoffmann-Axthelm sprach von einem „Bankrott des Denkmalschutzes“, wenn alte denkmalgeschützte Bausubstanzen des Wilhelminismus auseinandergerissen und in einen neuen Zusammenhang gestellt würden. Außerdem, so polterte die Grünen-Abgeordnete Elisabeth Ziemer, würde hier der Denkmalschutz privaten Investoreninteressen eindeutig nachgeordnet.

Die Bedeutung des Hotels Esplanade in der Stadtlandschaft ist wahrlich nicht gering: Das Hotel zählte ebenso wie das Hotel Adlon am Pariser Platz zu den berühmten Hotelbauten aus der Kaiserzeit, die mit überladenem Fassadenschmuck und neobarockem Dekors baulichen Mummenschanz spielten. Die Architektursprache des Esplanade mit seiner üppig verzierten Sandsteinfront und dem repräsentativen Eingang spiegelte den Baustil des Wilhelminismus besonders nach innen. Das Hotel betrat der Gast über feudal ausgestattete Foyers und Säulenhallen. Die Aufenthaltsräume und Säle waren barock verziert, die Zimmer zum Teil in schwülstigem Rokoko ausgestattet. In die Errichtung der Luxusherberge investierten die Hoteliers die Summe von 23 Millionen Reichsmark.

Nach seiner Eröffnung 1908 gehörte das Esplanade zu den ersten Häusern am Platze. In den Festräumen wurde höfisch getafelt, im „Roten Salon“, dem jetzigen Kaisersaal, zechten Kaiser Wilhelm II. und seine Kumpanen bei ihren Herrenabenden. In den zwanziger und dreißiger Jahren logierten dort internationale Stars und lagerten Revue-Sternchen. Greta Garbo und Charlie Chaplin trugen sich ins Gästebuch des Hotels ein.

Selbst nach dem Zweiten Weltkrieg und seiner teilweisen Zerstörung durch Bomben blieb das Esplanade eine feste Adresse in der Stadt. Die Innenräume gaben Film- und Modebällen Raum. Ins Abseits geriet der Ort erst durch den Bau der Mauer 1961; von da an wurden die Räume nur noch vereinzelt für Ausstellungen, Kunstaktionen oder auch als neobarocke Filmkulisse genutzt.

Der verspiegelte „Frühstücksraum“ mit geschwungener Theke und einer Musikempore mußte 1992 gar noch einmal für die dort stattfindende Berliner Filmnacht herhalten. Dieser Saal steht – ebenso wie der Kaisersaal – unter Denkmalschutz.

Anders als die Kritiker sieht Berlins Landeskonservator Jörg Haspel die Verschiebeaktion, stellt er doch die Rettung und Translozierung des Kaisersaals über das Abrißbegehren von Sony. Erst 1993 sei es Stadtentwicklungssenator Volker Hassemer gelungen, Sony zum Einlenken und später zur Translozierung zu bewegen. „Es ist eine denkmalpflegerische Notoperation“, sagt Landeskonservator Haspel.

Der Kaisersaal wechselt zwar seinen Platz, „die Ortsbindung und der historische Zusammenhang bleiben jedoch“. Außerdem ist vor Ort der Gedanke an das Grand Hotel schon jetzt nur noch in Stücken erlebbar. Die „geheime Choreographie des Hauses ist nicht mehr herstellbar“.

Die Verschiebeaktion, so Haspel, war in der Geschichte nichts Ungewöhnliches. Hauptsächlich im 19. Jahrhundert mußten Bauten, besonders Villen, Straßenverbreiterungen weichen und wurden „im Huckepackverfahren“ (Haspel) umgesetzt. „Außerdem“, erinnert der Landeskonservator, „haben wir die Fassade des Esplanade in ihrer Widersprüchlichkeit gerettet.“ Entgegen den Vorstellungen von Helmut Jahn, der die alte Front in Gänze in die moderne Glaswand einbauen wollte, sollen nun „alle geschichtlichen Facetten der Fassade“ erhalten bleiben. Anders als der Kaisersaal wird der sogenannte „Frühstückssalon“ des Esplanade später nur noch als Versatzstück dienen und museal bespielte Kulisse sein. Er, der einer „Passarelle“ im Wege steht, wurde von Restauratoren dokumentiert, zerlegt und eingepackt und soll später im neuen Sony Center zur Hälfte in einer gastronomischen Glasvitrine wiederaufgebaut werden, während zwei Wandflächen an alter Stelle rekonstruiert werden.

Der Abriß war Feinarbeit, wurde doch die verzierte Wandschale in 500 gleich große, 1,5 mal 2 Meter große Teile zersägt, von der Wand und Decke gelöst, verpackt und jetzt eingelagert. Man soll sich keinen Illusionen hingeben: Es ist klar, daß heute, wenn der erste Spatenstich auf dem Sony-Gelände in die Erde erfolgt, vom einstigen – wenn auch ruinösen – Ensemble Hotel Esplanade in seiner erlebbaren Einheit wenig bleibt. Die traditionelle Einheit von Kaisersaal, Palmengarten und Silbersaal sowie den feudalen Prunktoiletten wird zerissen und von der schönen neuen Sony-Welt überlagert werden.

Diese Befürchtung äußerte bereits Berlins Denkmalschützer Helmut Engel, der die Abrisse, Verschiebungen und Verluste als „Kaiserschnitte der Denkmalpflege“ bezeichnet hatte. Die Konservierung ist kaum mehr als eine Notoperation mit Folgen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen