: Unbekannt wie ein bunter Hund
Die Medienbranche lebt von der Neugier. Und Günther Kress hat den bourgeoisen Charme der Diskretion. Deshalb wurde er mit seinem Mediendienst zum Millionär ■ Von Phillip Maußhardt
Stuttgart ist keine Medienstadt. Es gibt ein Rundfunksenderle, zwei regionale Tageszeitungen, na ja, und Reader's Digest. Ein paar Auto-, Motor- und Sportblättchen werden auch noch in der Stadt gemacht, dann hat es sich aber auch schon fast. Und doch sitzt ausgerechnet in der Schwabenhauptstadt der Mann, der wie kein zweiter weiß, was im „Gewerbe“ läuft, der nicht nur den Hinz, sondern auch den Kunz kennt, und, mein lieber Herr Chefredakteur, sollten Sie morgen entlassen werden, dann ist Günther Kress heute schon darüber informiert.
Kress, so heißt der Mann – immer mit Krawatte an. Arbeiten tut er in einem kleinen Büro, von der Straße aus gesehen „im Souterrain“, zusammen mit einer Halbtagssekretärin. Dort unten hat er ein Telefon mit Schnur. Mehr braucht er nicht. Daran hängt er von morgens bis abends, redet und hört zu. Was er dabei alles erfährt, tippt er in seine Schreibmaschine und gibt die Blätter zum Drucker: Heraus kommt auf diese Weise alle 14 Tage der kress report, ein Informationsdienst für die Medienbranche; dessen Inhalt, so steht gleich auf der ersten Seite, ist „vertraulich und nur für den Empfänger bestimmt“. Sie kennen ihn alle, in den Verlagen, in den Redaktionen, in den unzähligen Werbebüros dieser Republik. Denn freitags flattert der kress report den Medienmachern auf den Schreibtisch. Ja, sie flattern, diese mit einer einzigen Büroklammer zusammengehaltenen 35 Seiten. Eine Blattsammlung, die noch nach Druckerschwärze riecht, so einen schnellen Eindruck macht das gelbschwarzbedruckte Papier.
„Bertelsmann mit der Westdeutschen Zeitungs-Gruppe jetzt gemeinsam im TV-Geschäft“; „Edmund Berenfeld, zuletzt bei Burda, verkauft jetzt Anzeigen für Gruner+Jahr“; „Bettina Wündrich, Redaktionsleiterin von „Jetzt“, wechselt als stellvertretende Chefredakteurin zu „Elle“... und so weiter. Wen interessiert das? Alle, die Nachrichten, Unterhaltung und Werbung machen. Denn die Branche lebt nicht nur von der Neugier der Menschen – sie ist die Neugier selbst. Das Erfolgsrezept von Günther Kress: Er gab den Köchen „Futter“ zu fressen.
Wer wann seinen Arbeitsplatz wechselt und wieso, welcher Verleger mit welchem Verleger über welches Objekt verhandelt, wieviel der entlassene Chefredakteur an Abfindung zu erwarten hat, das alles und noch viel mehr schreibt Kress seit nunmehr fast 30 Jahren in seinem Report. Immerhin knapp 2.000 Abonnenten wollen das wissen. Was drin über uns? Wenn nicht, dann wenigstens was über die Konkurrenz. Und dafür zahlen die Leser 264 Mark im Jahr, plus Porto und Mehrwertsteuer. Der kress-report ist eine „one- man-show“ oder, auf Kress-Schwäbisch gesagt, der Mann macht „fascht älles alloi“. Recherchieren, texten, planen, Anzeigen verkaufen, Abonnenten werben, die langsame Post beschimpfen – nur das Zusammenheften der Seiten mit der Büroklammer hat der Alleswisser inzwischen delegiert. 14täglich, immer donnerstags, kommen 13 Schüler und Studenten in sein kleines Büro, setzen sich, um die Übersicht zu wahren, auf mit Telefonbüchern unterlegte Stühle und heften die Seiten zusammen. An diesem und an den Tagen davor schläft der 66jährige Kress auf dem Sofa seines Büros. Um halb sieben klingelt der Wecker, und das Rädchen läuft und läuft, ehe er dann in der Nacht zum Freitag in einen zwölfstündigen Tiefschlaf versinkt.
Jetzt hört er auf. Günther Kress hat sein Unternehmen zum 1. Januar 1996 an Peter Turl (34) und Thomas Wengenroth (29) verkauft. Ganz lassen aber kann er nicht. Schreiben will er weiter.
Für die beiden Nachfolger wird Kress' Erfolg nicht so leicht nachzumachen sein. Fleiß oder Wahnsinn – jedenfalls war Günther Kress in den letzten 30 Jahren nie länger als zwei Wochen am Stück im Urlaub. Und das ging auch nur, weil er in der Sommerpause immer eine Ausgabe seines Reports übersprungen hat.
Und dann natürlich sein bourgeoiser Charme der Diskretion. Mit ihm gelingt Kress die Überwindung jeder Vorzimmerhürde. Kress kann am Telefon so freundlich sein, daß ihm die Chefs aus Versehen ihre gesamte Personalplanung verraten. Kress schreibt längst nicht alles, was er weiß. Das ist sein Wucherpfund, mit dem er sich in so vielen Jahren die Türen offenhielt. Der Mann ist nicht nur diskret, er sieht auch noch so aus. Obwohl er meist alleine in seinem Büro sitzt, bindet er sich täglich die Krawatte um und zieht den Anzug an. Mit seinen graumelierten Haaren wirkt er so vertrauenerweckend wie jeder Hauptabteilungsleiter einer Versicherung. Kress hatte gleich nach dem Krieg auf Wunsch seines Vaters eine Lehre als Elektroinstallateur gemacht. Das gab ihm den Vorwand, im besetzten Stuttgart Häuser von Amerikanern zu betreten, „um die Leitungen nachzuschauen“.
Das Wort wurde geflügelt. Auch heute schaut Kress „Leitungen nach“, nur staubt er nicht mehr Brot und Kartoffeln dabei ab, sondern Informationen. Aus dem Handwerkerberuf wurde nichts: Kress wollte schreiben und nicht in Vaters Geschäft einsteigen. Im Pressebüro von Waldemar Schweitzer verdiente er sein erstes Zeilengeld, mit einer Reportage über ein neues Getränk: Coca- Cola. Schweitzer gab damals einen Presse-Insiderdienst heraus, Aus unseren Kreisen. Bald schon schmiß Kress den Laden, bis er dann am 30. Juni 1966 mit seinem eigenen Heft herauskam.
„Von den Amerikanern habe ich etwas gelernt, was mir heute viel nutzt“, sagt Kress: „Einer spricht, und der andere hört zu.“ So einfach wie selten. Es gibt nur eine Art Personen, mit denen Kress nicht redet. Die Schmierigen, die Schleimscheißer, die Speichellecker in den Verlagen, die kann er nicht ausstehen. Den Politikchef von Bild, Kai Diekmann, beschrieb er einmal als einen, der dem Kanzler „stets zu Diensten“ sei. Prompt kam die Aufforderung des Anwalts, eine Wiederholung zu unterlassen. „Ich unterschrieb die Erklärung sofort. Schließlich wiederhole ich mich nicht.“
Selbstverständlich wurde Kress auch häufig von Verlagen und Redaktionen als Transportmittel benutzt. Er brauchte nicht immer anzurufen – Kress wurde angerufen. Ein Netz von Informanten trug ihm zu, was wo gerade wieder einmal im Schwange war. Als 1993 die gesamte Chefredaktion der Hochglanzillustrierten Sports um 11 Uhr kündigte, hing Kress um 11.02 Uhr der Hamburger Geschäftsleitung in den Ohren und fragte, ob das stimme, was er im entfernten Stuttgart da so höre. Mit Peter Boenisch ging es bei der Bunten zu Ende – da stand es längst im kress, und der einstige Chefredakteur von Quick, Gert Braun, erfuhr seine bevorstehende Kündigung ebenfalls vom „Dienstmann“, wie sich Kress bescheiden nennt.
„An Gerüchten beteilige ich mich nicht“, sagt Kress, und wenn er einmal wieder mehr wisse als ein von der Kündigung Betroffener, rufe er den Verleger an: „Ich sage ihm: Sie haben noch zwei Tage Zeit.“
Kress hat viele in der Medienbranche kommen und gehen gesehen. Jetzt geht er selbst. Er selbst ist unbekannt geblieben, aber das wie ein bunter Hund.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen