: Ein Flugzeug ist kein Auto
■ Mit Automaten kann man kein Flugzeug herstellen, wohl aber mit Handarbeit. Die Flügel- und Blechteile-Fabrik Airbus von innen. Hoffnung auf den Kohlenfaserflügel
So'n paar Kleinblechteile herstellen und so'n bißchen Flügel fertigbauen – meine Güte, wieso braucht man dazu 2.955 Leute? Angesichts solcher Unwissenheit kann sich Betriebsrat Wilfried Silberborth vom Airbus-Werk beim Bremer Flughafen nur die Haare raufen. „Der Flügel ist doch das Wichtigste am Flugzeug“, sagt er, „und außerdem machen wir fast alles in Handarbeit“. Ein Flugzeug ist schießlich kein Auto, ein Flugzeug verlangt einen viel höheren „Genauigkeitsgrad“ und besteht noch dazu nicht aus einer einzigen Karosse, sondern aus Hunderten von Einzelteilen – aus Rippchen, Winkeln, Versteifungen.
Sicher, die vielen kleinen Aluminium-Teile werden automatisch gefräst, dann über Formen aus Hartholz gelegt und von einer riesigen Gummiblase in Form gepreßt – aber was dabei rauskommt, ist noch lange nicht genau genug. Da werden Winkel mit dem Kunstoffhammer nachbearbeitet, da werden Bleche in Handarbeit entspannt. „Das kann eine Maschine gar nicht fühlen, wenn da noch Spannung auf einem Blech ist – so eine Spannung ist aber tödlich für ein Flugzeug“, sagt Silberborth.
Genauso tödlich: Grate. Während im Fahrzeugbau schon mal nach dem Fräsen an der Schnittkante ein Grat stehenbleiben kann, kann das bei Flugzeugen eine Katastrophe bedeuten. „Wegen der Rißgefahr, ein Riß geht ja immer vom Rand aus.“ Also muß man „entgraten“, abrunden. Solche präzisen Kleinblechteile fertigt die Bremer Belegschaft nicht nur für den Airbus-Flügel, sondern auch für andere Dasa-Standorte, für Fokker in den Niederlanden und für den Tornado.
Die meisten der 1.305 Menschen in der Produktion sind jedoch nicht mit den Blechteilen und ihrer Montage beschäftigt, sondern mit dem „Flügel“. Ach was „Flügel“. Betriebsrat Silberborth klärt auf: „Vögel haben Flügel, Flugzeuge haben Tragwerke“. Tragwerk – das klingt doch gleich ganz anders, nämlich angemessen kompliziert.
Ein Airbus-Tragwerk besteht ja nicht nur aus der Hülle, die das Bremer Werk aus England geliefert bekommt, viel wichtiger ist das Innenleben eines Flügels, wie soll er sonst gesteuert werden mit all seinen Klappen und Spoilern. Rund drei Tonnen bauen die Bremer FlugzeugbauerInnen deshalb in die englischen Flügelkästen: Hydraulik, Elektrik, Querruder-Zylinder, Klima- und Enteisungsanlagen ... Durchlaufzeit pro Flügelpaar: 21 Tage. Derzeit werden im Bremer Werk gleichzeitig jeweils sechs Flügelpaare ausgerüstet – es waren schon mal mehr.
So komplex die Ausrüstung, so langwierig sind Entwicklung und Konstruktion solch eines Flügels. Von der Idee bis zur Produktion kann das bis zu zehn Jahre dauern. Und laufend müsse man weiterentwicklen, erzählt der Wilfried Silberborth. Die Konkurrenz, die amerikanische Boeing, schläft nicht. Deswegen hat das Bremer Werk wie das Hamburger Airbus-Werk eine große Entwicklungs- und Konstruktionsabteilung: 1.000 Leute arbeiten hier – jedoch nicht etwa am Reißbrett, sondern mittlerweile am CAD-Computer. Ihr neuester Hit: der Kohlefaserflügel.
Mit diesem Kunststoffflügel steht das Bremer Werk weltweit konkurrenzlos da. Es bedarf nämlich unzähliger Versuche im Windkanal, um zum Beispiel herauszufinden, an welchen Stellen ein so großer Flügel versteift werden muß. Vorteil des Kohlefaserflügels: Er hat eine größere Festigkeit als Blech, ist vor allem aber um rund 20 Prozent leichter. Das spart Spritkosten – attraktiv für die Airliners, die sich derzeit mit Dumping-Preisen niederkonkurrieren.
Sollte es jedoch künftig nur noch in Hamburg eine Entwicklungsabteilung geben, so wie es das „Dolores“-Sparkonzept der Dasa-Chefs vorsieht, dann fiele man um mindestens ein Jahr zurück, meinen dieBremer Betriebsräte: „Die brauchen dort doch ein Jahr, um überhaupt auf unseren heutigen Stand zu kommen.“ Der Traum vom „Flügelzentrum Bremen“ wäre damit ausgeträumt.
Mit dem Kohlenfaserflügel hat Airbus einen gewichtigen Wettbewerbsvorteil. Umso unverständlicher für die Betriebsräte, daß dieDasa-Chefs diese Entwicklung erschweren wollen. Daß die Dasa-Leitung die Wettbewerbsfähigkeit erhöhen will durch Kostensenkung um 30 Prozent und Durchlaufverkürzung um 50 Prozent, so wie es ein im Dezember 94 verabredetes Konzept vorsieht, das können die GewerkschafterInnen, wenn auch unter Schmerzen, akzeptieren. „Das bedeutet für uns zwar auch einen Stellenabbau auf 2.163 Menschen, sozialverträglich natürlich, da sind wir nicht glücklich drüber, aber das läuft.“
Doch das neue Konzept, „Dolores“, das habe doch überhaupt nichts mehr mit Wettbewerbsfähigkeit zu tun: Danach nämlich soll die Bremer Belegschaft auf 650 zusammenschrumpfen. „Völlig indiskutabel.“
cis
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