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Sammler muß betteln

■ Hans-Georg Schriever-Abeln, Herr über 40.000 Kugelschreiber, beim Heimspiel

„Rotlichtzone“. Selbst der Bürgermeister wirft einen interessierten Blick „ab 16 Jahren“. Doch hinter der Scheibe herrscht nur banaler Kreisverkehr. 40 Kugelschreiber fahren die Runde, ununterbrochen geht es auf und ab – und vor allem deshalb kommt manch anwesende Tennissocke gerne „mal gucken“. Denn immer, wenn die Schreiber senkrecht steigen, fallen bei den Miniaturmädels darauf die Hüllen. Wir befinden uns im Gasthof Nobel. Es ist Sonntag, 12 Uhr, in Stuhr-Moordeich.

Der pensionierte Schauwerbeleiter Hans-Georg Schriever-Abeln hält ein Heimspiel. „Endlich“, bewundern viele die Auswahl von 4.000 Kugelschreibern in selbstgebauten Vitrinen. „Kitsch und Kunst“ heißt die Ausstellung mit angeschlossener Tauschbörse, die nur einen Bruchteil seiner Sammlung von insgesamt 40.000 Stiften zeigt. Sie ist schon von Zürich bis Buenos Aires gewesen – und er mit ihr. Sogar bei der Tochter des großen Entwicklers der Kugelschreibermine, Joszef Laszlo Biro, war er zu Gast.

Heute zeigt Schriever-Abeln unter anderem: Weihnachtskulis, die „braune Periode“, die übrigens in den 70ern lag, und 175 Karstadt-Kulis. Deren Reiz liegt für den Kuli-Fan in den verschiedenen Farbkombinationen. „Ich sammle nämlich von jedem Kuli nur eine Sorte“, betont er. Für die 175 Stifte hier hat der ehemalige Karstadt-Mitarbeiter Schriever-Abeln lange Stunden gepfriemelt.

„Herzlichen Glückwunsch.“ Jeder Dritte schüttelt dem Stuhrer Kuli-Helden passend zum deftigen Rhythmus der Combo draußen die Hand. Doch Schriever-Abeln verliert im Gewühl nicht den Überblick. „Gleich“, vertröstet er die beharrliche Sammlerin, die unbedingt eine Zwickauer Adresse erfahren muß, und wie nebenbei – aber herzlich – steckt er die sechs Werbekulis der CDU ein.

Einen empfindlichen Nerv trifft kurzfristig nur die elegante Blonde. Wie der alte Werbehase Schriever-Abeln hat sie einen Sinn für Inszenierung. Kaum ist ihr „Schmuckkasten geplündert“ herübergeweht, pellt sie verschwörerisch einen grün-goldenen Schreiber aus dem Futteral. Ein Blick des deutschen Meisters im Kulisammeln verrät Interesse – bis das verhängnisvolle Wort fällt. „Nein, ich kaufe grundsätzlich nicht.“ Ganz klar ist er, ohne jeden Hohn über den angebotenen Jimmy Carter, der auf dem Stift steht und sogar selbst damit geschrieben haben soll. Seine Augen schrumpfen auf Normalformat. Das Raubtier im Jäger legt sich wieder zur Ruhe.

Aber der Jäger hat auch Herz. Deshalb hat er Erika Würgers kleine Schenkung in Originalverpackung ausgestellt: Um ein durchsichtiges Plastikbeutelchen ist ein roter Wollfaden gebunden. Darin ein Gruß von zittriger Damenhand und ein zierliches Schreibgerät in elfenbeinfarbenem Japan-Plastik. Dahinter steckt mindestens soviel Gefühl wie in dem Brief, den er von einer 13jährigen bekam. Ich sammle auch, aber alles, meldete sie ihm und legte alle ihre Kugelschreiber bei. Darüber ist der Sechzigjährige bis heute gerührt.

Plötzlich steht die Dame wegen der Zwickauer Adresse wieder neben ihm. „Sammler müssen betteln“, reicht ihr Schriever-Abeln endlich die Adresse. Sein Blick steift unruhig durch den Raum. Ja, er muß das auch. „Aber vorhin, bei der Dame mit dem Jimmy Carter, da war ich nicht in Form.“ ede

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