: Zwingende Reduktion aufs Zeichenhafte
■ „Al Fann – die Kunst“: schlichter Titel eines Ausstellungsprojektes zeitgenössischer Kunst aus islamischen und vom Islam beeinflußten Ländern
Der Tunesier Ben Slimane Khaled absolvierte seine Ausbildung nicht nur in seinem Heimatland, sondern auch in Barcelona und Japan. So sind denn in seinen Bildern alle drei daran anknüpfenden Kulturkreise präsent: Großformatige, aufwärts strebende Pfeile und chiffreartig hingeworfene Zeichenfolgen ordnen sich auf reinen Farbflächen zu einer meditativ anmutenden Struktur. Die Assoziationen reichen dabei von der kunstvollen islamischen Kalligraphie über die lineare Farbgebung japanischer Holzschnitte bis hin zum abstrakten Expressionismus.
Nahezu entgegengesetzt die Bilder der Tunesierin Hayet Medder Gasmi: Die Autodidaktin beschäftigt sich ausschließlich mit dem Leben der Frau in der traditionellen dörflichen Gemeinschaft. Ihr Stil ist einfach: Sie verzichtet völlig auf Perspektive und Körperlichkeit. Die schematischen Figuren mit ihrer grellen Farbigkeit wirken wie auf einem Teppich ausgelegt, die Hintergründe bestehen aus grafischen Mustern.
Die Bilder von Khaled und Gasmi sind zu sehen in der Ausstellung mit dem lapidaren Titel „Al Fann – die Kunst“. Ermöglicht hat sie die Projektgruppe „Stoffwechsel“ an der Gesamthochschule Kassel um den aus Ägypten stammenden Professor für Textildesign, Hamdi el Attar; bereits im vergangenen Oktober präsentierte die Gruppe Gegenwartskunst der Karibik und Afrikas in der Kasseler documenta-Halle. In der südniedersächsischen Provinzstadt Hann. Münden sind nun derzeit etwa 380 Werke – überwiegend Malerei – von 70 Künstlerinnen und Künstlern aus insgesamt 16 islamischen oder vom Islam geprägten Ländern zu sehen.
Der rote Faden der Ausstellung zeigt sich exemplarisch in der Gegensätzlichkeit Khaleds und Gasmis: hier eine intellektuelle Kunst, die mit ihrer Bildsprache deutlich den Anschluß an die internationale Kunstszene sucht; dort eine Art naiver Malerei, folkloristische Motive in schillernden Farben. Interessanterweise fußen beide Richtungen auf der Tradition. Das strenge Bildnisverbot hat die Kunst des Islam von Anbeginn an in die Richtung gelenkt, von der sie bis heute dominiert wird: die Abstraktion. Das dekorative Ornament etwa am Bau entwickelte sich nirgends sonst zu derart hoher Vollendung wie in der islamischen Kunst. Das gleiche gilt für die Kalligraphie, die ihrerseits höchst diffizil, sogar bis hin zur Unleserlichkeit ausgeschmückt wurde. Die Reduktion auf Symbole und Zeichen war folglich im Islam zwingender und mehr als tausend Jahre früher ausgeprägt als im Westen, wo sich die Künstler erst in langwierigen Prozessen seit Ende des 19. Jahrhunderts von den akademischen Konventionen des Naturalismus befreiten.
In der Ausstellung wird deutlich, daß der Spielraum der vertretenen KünstlerInnen im Abstraktionsgrad besteht, den sie ganz unterschiedlich nutzen. Fatima Chik aus Malaysia schichtet auf dekorativen Batiken traditionelle Ornamente zu dichten, symmetrischen Arrangements. Ganz anders der Syrer Fateh Moudares, der „Menschen unter der Last der überirdischen Mächte“ zeigt. Er weicht klar vom Verbot figürlicher Darstellung ab, die Gesichter seiner schematischen Figuren wirken fast ikonenhaft.
Bei einem Großteil der Exponate sind allerdings Unterschiede zur aktuellen westlichen Kunst kaum mehr auszumachen. So orientiert sich die 1963 in Istanbul geborene Ayse Topas mit ihren großformatig wuchtigen Bildern, die sie einer reliefartigen Holzstruktur annähert, ganz deutlich an Anselm Kiefer. Gerade das Bildnisverbot scheint die Assimiliation zwischen „islamischer“ Ausdrucksweise und der westlichen Moderne zu begünstigen. Aufgabe der Ausstellungsmacher wäre gewesen, mit erläuternden Hinweisen ein Erklärungsangebot in bezug auf die islamische Religion, die Kunsttradition oder die soziokulturellen Kontexte in den betreffenden Ländern bereitzustellen. Auch die speziellen Bedingungen der Kunstproduktion bleiben im dunkeln: So steht der Senegalese Kan Si allein für sein Land, während gleich acht Künstler aus Bahrein vertreten sind. Andreas Gebhardt
Bis 24. September im Rittersaal des Welfenschlosses im Rathaus, im Packhof und den Räumen der Hann. Mündener Sparkasse
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