: Es waren Urwaldgeräusche
■ Mungo Jerry und falsche Wimpern - Uschi Nerke über 30 Jahre Beatclub
taz: Gibt es besonders prägende Erinnerungen an das erste Mal?
Uschi Nerke: Viel Aufregung, so viele Leute, alles neu. Und vor allem die Umstände: Das Studio war so eine Riesengarage, ganz im Freien, mitten in einem reinen Wohngebiet in Bremen, nur sichtgeschützt, nicht schallisoliert. Da hingen immer die Anwohner in den Fenstern und auf den Balkonen, um dem merkwürdigen Treiben zuzuhören. Nur die Maske war nebenan im Hauptgebäude. Und das war manchmal ein Ding für sich, mit den falschen aufgeklebten Wimpern, den mühsam hingetürmten Haaren durch den Hof rüber ins Studio, vor allem bei Regen. Und in Bremen regnet es oft. Das war jedes Mal ein Desaster. Auch mit den selbstgenähten Kleidern ...
Selbstgenäht? Jetzt plaudern Sie aus dem Nähkästchen ...
Ja ja, alles selbstgenäht. Nur hab ich's oft nicht fertig bekommen, und dann wurde ich von der Garderobiere noch schnell hinten eingenäht oder mit Wäscheklammern zusammengeklemmt. Hat aber nie jemand gesehen – wie ich hinten aussah, ging ja keinen was an. Es war unglaublich, was da an Verkleidung vor sich ging. Das war noch Abenteuer. Wer beim allerersten Mal da war an Musikern, weiß ich schon gar nicht mehr. Zu vielen habe ich aber nach 25, 30 Jahren noch Kontakt oder bin mit ihnen bis heute heute befreundet: mit Dave Dee, Scott Mac Kenzie, Mungo Jerry, Chris Andrews.
Beatclub gilt in der Rücksicht als ungeheuer progressiv, als Angriff gegen das Establishment. Haben Sie das auch so empfunden?
Nein, komischerweise gar nicht. Es war erst mal nur was ganz Neues. Es war die Möglichkeit für die Jugend in Deutschland, endlich einmal überhaupt zu sehen und zu hören, was musikalisch vor Deutschlands Toren passierte, Musik aus Amerika und England. Sonst gab es da ja kaum eine Informationsmöglichkeit. Man konnte höchstens Piratensender hören, nachts und im Radio, wenn man sie überhaupt fand.
Den Beatclub gab es schon 1965, und nicht erst als Reaktion
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auf „68“ – das war sehr früh und das im biederen, spießigen deutschen Fernsehen.
Ja, und das lag an Radio Bremen, die waren verdammt mutig. Das wäre bei keinem anderen Sender passiert. In einzelnen Briefen war von Negermusik und Hottentottenmusik die Rede, oder es hieß, das seien Urwaldgeräusche und einfach nur Krach. Eltern regten sich furchtbar auf, die verstanden das alles gar nicht. Sehr kriminell war, daß im anderen Programm immer Fußball lief. Aber schon in der Presse war es gar nicht so schlimm. Höchstens, daß mein Kleid eine Handbreit über dem Knie endete ...
Sie trugen doch manchmal sogar einen ganz biederen Faltenrock ...
Ja, schon, aber eben kurz. Und da gab es Kommentare in der Kirchenzeitung, wo das als ungeheuerlich obszön abgetan wurde. Und in der Bild-Zeitung ähnlich.
Nicht einfach war es anfangs mit der Crew. Die Toningenieure hatten Angst, wenn alles voll aufgedreht wird, fallen denen die Buchsen auseinander und die ganzen Stöpsel raus. Ein neuer Kameramann kam eines Tages, völliger Jazzfan, und der fand die Beatclub-Musik absolut ätzend. Dann war Chicago da, mit dem Titel „I'm a man“. Als die spielten und improvisierten, war der Kameramann plötzlich so begeistert, daß er seinen Kopfhörer vergaß und seine Kamera auch. Der stand nur noch froh daneben. Mike (Beatclub-Redakteur Michael Leckebusch, d.A.) hat sich die Lunge aus dem Kopf geschrien, aber der Kameramann hat nichts mehr gehört. Mit Chicago war er bekehrt worden und ab sofort immer im Team.
Diese langhaarigen Musiker, die da die braven deutschen Bürgerkinder aufschreckten, waren das denn Aufwiegler, freche Revolutionäre?
Ach, das waren eigentlich alles ganz liebe brave Jungs ...
Arthur Brown ein lieber Junge? Jim Morrison brav?
Gut, die vielleicht nicht so, auch nicht The Who oder Eric Burdon. Aber wir Deutsche waren damals doch noch viel, viel mehr in Watte gepackt als alle anderen. Und gegen das Establishment? – Nein, ich hatte nie das Gefühl, daß da richtig die Wände wackelten. Beatclub war eine Musiksendung – und es war die Musik, die die Jugend endlich hören wollte. Ich hatte in meinem Elternhaus auch nie Schwierigkeiten gehabt, vielleicht hab ich es deshalb nicht so wahrgenommen.
Gab es denn keine Anfeindungen für die politischen Wortbeiträge zwischendurch, gegen den Vietnamkrieg zum Beispiel?
Ach, was Sie alles gesehen haben ... Ich weiß nur noch, daß wir mit einer halben Stunde angefangen haben und die jungen Leute geschrien haben, warum nicht länger. Aber Radio Bremen hatte nicht mehr Sendeplatz und mußte sich von irgendwoher Sendezeit geben lassen. Und so kam es, daß beim WDR in Köln die Wortbeiträge gemacht wurden. Aber das zerhackte die Sendung nur. Und fiel bald wieder weg. Nur die Dreiviertelstunde, die blieb trotzdem. Gott sei Dank.
Hat der Beatclub Sie persönlich geprägt?
Ja, doch, auch wenn ich es lange nicht wahrhaben wollte. Ich war eines der ganz wenigen weiblichen Wesen in solch einem Job vor der Kamera, das war eine völlige Rarität. Danach hab ich Hochbauingenieur studiert, hab zehn Jahre lang mein eigenes Architekturbüro gehabt. Das ging so Hand in Hand mit Selbständigkeit und Selbstbewußtsein.
Haben denn Sie den Beatclub geprägt?
Tja, mir ist das damals nie so aufgefallen, aber wahrscheinlich schon. Ich habe mich immer als Nebensächlichkeit empfunden, ich habe die Bands ja nur vorgestellt, die waren doch das Wichtigste. Erst später sagten alle: Beides gehörte zusammen, der Beatclub und die Uschi. Das ist eins und nicht trennbar. Ich hab wohl durch mein Äußeres da vieles bestimmt und gesteuert und geprägt. Alles in allem war die Sendung doch sehr attraktiv, wer da alles so rumlief ...
Wir Jungs waren damals alle abgrundtief verliebt in Uschi Nerke!
Das befürchte ich auch und hab ich später viel gehört. Nur mein jetziger Mann nicht. Der hat anfangs immer gesagt, was ist das nur für eine blöde Zicke.
Und die Popmusik heute? Alles nur synthetisch, beliebig, marktgängig gemachte Kunstprodukte?
Vieles ja, leider, aber nicht nur. Gut, mit Techno kann ich nichts anfangen. Aber es gibt immer noch sehr viel wirklich gute handgemachte Musik.
Beim Beatclub war alles handgemacht, immer ehrlich live?
In den Anfangsjahren immer. Dann gab es Gruppen, die sich weigern wollten.
Outen Sie! Wer war's?
Die Sweet zum Beispiel kamen an und wollten Playback spielen. Da hat der Mike gesagt, kommt nicht in Frage. Und dann haben die geübt, geübt, geübt. Aber die Techniker haben gesagt: Furchtbar, das klingt nicht. Und da haben wir die nach Hause geschickt.
Das müßte man heute mal mit Mick Jagger machen.
Ja, das hat mich nun echt völlig entsetzt, daß die Stones mit Playback vom Band gepfuscht haben sollen. Oh, oh, oh. Aber wenn, dann haben sie das wirklich perfekt gemacht; Hut ab, hat ja keiner gehört im Konzert. Das Gespräch
führte Bernd Müllender
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