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Nur jeder zweite ging wählen

Bei der Kommunalwahl in Bremerhaven stürzte die SPD ab. Deren Gerangel um Pöstchen war den BürgerInnen sauer aufgestoßen  ■ Von Kerstin Schneider

Zuversichtlich hatten die SPD- Spitzenkandidaten noch von den Wahlplakaten gelächelt. Altbürgermeister Karl Willms hatte dem sozialdemokratischen Nachwuchs fürs Foto sogar väterlich seine Hände auf die Schultern gelegt. Doch zum Lächeln gibt es seit Sonntag keinen Grund mehr. Bei der Kommunalwahl in Bremerhaven gab nur knapp die Hälfte der rund 95.000 Wahlberechtigten ihre Stimmzettel ab – mit 49,89 Prozent verzeichneten die Wahlleiter die schlechteste Wahlbeteiligung in Bremerhaven seit Gründung der Bundesrepublik. Nach 40 Jahren mußte die SPD als stärkste Fraktion abtreten.

Der Frust der Bremerhavener war schon vor der Wahl zur Stadtverordnetenversammlung sichtbar. „Alles scheißegal“ hatte jemand mit schwarzem Filzstift quer über das SPD-Plakat mit den SpitzenkandidatInnen Melf Grantz und Martina Kirschstein-Klingner geschmiert. Auf einem CDU-Plakat wurde das Gesicht des Spitzenkandidaten Hans-Joachim Petersen durch einen Klumpen Straßendreck entstellt, der mitten auf der Nase des Kandidaten zerplatzt war.

Für die SPD entpuppte sich der Wahltag als „schwarzer Sonntag“: Mit 29,7 Prozent der Stimmen verlor die SPD-Fraktion knapp zehn Prozent ihrer Wähler. Die CDU legte hingegen rund zehn Prozent zu und präsentierte sich am Wahlabend als strahlender Sieger. „Das hätte sich in dieser Stadt niemand träumen lassen. Das kommt davon, daß die SPD in den letzten Jahren so zerstritten war“, jubelte Paul Bödeker, stellvertretender Fraktionschef.

In der Tat hatte die SPD mit ihren innerparteilichen Querelen in den letzten vier Jahren immer wieder für Schlagzeilen gesorgt. Während sich der linke Restflügel um den Abgeordneten Siegfried Breuer stets an Parteibeschlüsse hielt, ließ sich der rechte Flügel um den Fraktionsvorsitzenden Richard Skribelka immer häufiger mit der CDU ein. Als der Skribelka-Flügel im Januar unter starkem Protest der Bevölkerung mit der CDU für den Verkauf der Städtischen Wohnungsgesellschaft stimmte, hatten die Sozialdemokraten bei den Wählern verspielt.

Die Quittung folgte prompt: Bei der Bürgerschaftswahl im Mai kam die SPD in der Seestadt nur noch auf 35,5 Prozent, sie verlor 5,6 Prozent der Stimmen. Die CDU war den Sozis mit 34,2 Prozent schon damals dicht auf den Fersen. Das schien SPD-Fraktionschef Skribelka und seine Gefolgschaft nicht zu schrecken. Die 13 Abgeordneten standen schon damals auf keiner Liste mehr. Sie nutzten ihre restliche Zeit, um den Ruf der Sozialdemokraten endgültig zu ruinieren. Elf der Genossen flogen im Juli auf Fraktionskosten nach Genua. Sie wollten sich dort die italienische Variante des in Bremerhaven geplanten Ocean-Parks anschauen, obwohl sie gar nicht mehr über den Bau des Projektes zu entscheiden hatten. Das bescherte den reiselustigen Genossen sogar ein Parteiausschlußverfahren.

Fraktionschef Skribelka und seinen Stellvertreter Fritz Grote schien auch das nicht zu stören. Vor ihrem Abtritt brachten sie ihr Schäfchen schnell noch ins trockene. Mit Hilfe einer rot-schwarzen Koalition ließen sie sich zu sogenannten Stadtältesten küren. Eine Ehre für Stadtverordnete, „die sich um das Wohl der Stadt besonders verdient gemacht haben“ und die mit 800 Mark monatlich dotiert ist.

Die SPDler setzten noch eins drauf: Anfang des Jahres trennten sie gemeinsam mit den Stimmen der CDU die Kommunalwahl von der Bürgerschaftswahl ab. Die Kosten von rund 250.000 Mark stießen den Bremerhavenern sauer auf und gaben den Sozis den Rest. „Die kann man einfach nicht mehr wählen. Die können nichts als mauscheln, Geld ausgeben und sich die Pöstchen zuschanzen“, kommentierte ein Frührentner aus Leherheide am Wahlsonntag das Verhalten der SPDler. In diesem Stadtteil sitzt die Enttäuschung über die sozialdemokratische Politik besonders tief. Das gilt auch für Lehe und Geestemünde – Stadtteile, in denen die Arbeitslosigkeit besonders hoch ist.

In den ehemaligen Hochburgen der SPD machte die rechtsextreme Deutsche Volksunion (DVU) jetzt reiche Beute. 1991 kamen die Rechtsextremen auf Anhieb auf 10,26 Prozent. Die Fraktion, die in der Stadtverordnetenversammlung vor allem durch ausländerfeindliche Reden aufgefallen war, verlor diesmal zwar knapp die Hälfte ihrer Stimmen. Sie wird jedoch trotzdem wieder im Stadtparlament Platz nehmen.

„Ich gehe nicht zur Wahl“, war sich ein junger Taxifahrer schon am Sonntag morgen sicher. „Ich habe sowieso nichts zu sagen. Meine Stimme zählt nicht. Alles was ich darf, ist Steuern zahlen, weil ich ein deutscher Arbeitnehmer bin. Wenn ich wählen würde, würde ich der DVU meine Stimme geben. Das sind die einzigen, die gegen die Ausländer noch was machen können.“

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