Vorschlag

■ Pferdedroschken und nasser Asphalt

Die asphaltierten Boulevards schimmern regennaß, Autos reihen sich mit dumpfen Scheinwerferaugen kettenähnlich auf; beschirmte Herrschaften überqueren elig die Straße – Berlin bei Nacht.

Wer ein wenig mit der Berliner Kunstgeschichte vertraut ist, wird sogleich an Bilder von Lesser Ury (1861-1931) denken, jenem spätimpressionistischen Stadtmaler, den man einen namhaften Unbekannten nennen kann. Die Gründe dafür liegen in seiner komplizierten Biographie und der späten Anerkennung; aber auch darin, daß er als Jude nach 1933 für lange Zeit in Vergessenheit geriet und sein Werk in alle Winde zerstreut wurde.

Das Käthe-Kollwitz-Museum zeigt nun die erste umfassende Einzelausstellung von Urys malerischem Werk (Ölbilder und Pastelle) seit der Retrospektive, die kurz nach seinem Tod in der alten Nationalgalerie gezeigt wurde.

Sie enthält als Kernstück die Berlinbilder, also Straßenszenen aus dem Tiergarten, Unter den Linden, ums Brandenburger Tor oder den Nollendorfplatz; und zudem eine Reihe von Bildern aus dem berühmten Café Bauer, mit vereinzelten Zeitungslesern oder Paaren aus der besseren Gesellschaft.

Ury hat aber auch zahlreiche Porträts gemalt, darunter eindrückliche Selbstbildnisse, Landschaften und Blumenstilleben, sowie die Städte Paris und London, deren Großstadtatmosphäre und Straßenleben er in Breitwandformat erfaßte, Brücken und Quais der Seine im Regen, die Themsebrücken von Dunstschleiern verhangen. Auch von biblischen Themen, die er im Großformat plante (Moses, Rebecca, Jeremias), sind Skizzen erhalten. Das Frühwerk enthält häusliche Interieurs mit Fensterblick, in denen seine Vorliebe für spiegelnde Lichteffekte erstmals augenscheinlich wird.

Ury, im heute polnischen Birnbaum geboren, entschied sich, gegen den Willen der Familie, für die Kunst, studierte in Brüssel, Paris und München, bevor er sich 1887 endgültig in Berlin niederließ. Freundschaft und Unterstützung durch den einflußreichen Maler Max Liebermann schlugen bald in wechselseitige Abneigung, ja Haß um. Die Folge: Ury wurde für viele Jahre an den Rand des Kunstlebens gedrängt.

Die Ausstellung verdeutlicht Urys Rang als Großstadtmaler. Seine häufig mit dem Spachtel ausgeführten, mondän angehauchten Szenen weisen zwar bisweilen eine zum Illustrativen neigende nostalgische Note auf, aber mehr als in den anderen Genres hat der als kauzig geltende Maler hier zu einem eigenen Ausdruck gefunden. Michael Nungesser

Käthe-Kollwitz-Museum, Fasanenstraße 24, Charlottenburg, bis 3. Januar 1996, Katalog 48 DM (im Buchhandel 98 DM).