: Vorschlag
■ Metal-Pathos, gewetzte Gitarre: Die Krupps heute im Huxley's
Sie sind tanzbar, glamourös und staubtrocken Foto: Huxley's
Es ist noch gar nicht so lange her, da kannten viele Menschen Jürgen Engler nicht wegen seiner Musik, sondern weil die Tote Hose Campino einstmals gesungen hatte: „Jürgen Engler gibt 'ne Party, und wir kommen nicht rein.“ Das hat sich gründlich geändert. „III – Odyssey of the Mind“, die letzte Platte der Krupps, stieg von Null in die Top Twenty der deutschen Charts ein, und eine völlig neue Generation entdeckt einen Haufen älterer Herrschaften, als hätten diese keine fast 20jährige Geschichte.
Man schrieb das Jahr 1976, als Jürgen Engler begann, Musik zu machen. Mule hieß die Band, Düsseldorf die Stadt, Punk der Stil. Schnell entdeckten Engler und Mitstreiter Ralph Dörper die industrielle Klangerzeugung; die „Stahlwerkersymphonie“ der nun Krupps Geheißenen wird einer der Klassiker der beginnenden achtziger Jahre. Dörper ging nach England, um dort mit Propaganda ebenso hoffnungsvoll wie erfolglos zu scheitern, Engler ließ die Musik eine Zeitlang still sein. Später kam Dörper zurück, und eine der wahnwitzigsten Mutationen in der Geschichte der Rockmusik begann. Die Krupps entdeckten Metallica, entdeckten Techno und vergaßen gleichzeitig ihre Wurzeln nicht. Wie in einem großen Masterplan suchten sich Engler und Dörper die erfolgversprechendsten Musiken der Neunziger und formten daraus einen zwar wenig aufregenden, aber jederzeit perfide und perfekt durchorganisierten Sturm auf den großen Erfolg. Dazu holten sie sich einen versierten Metal-Gitarristen, der fortan mit klassischen Riffs alle nötigen Spielarten zum Patchwork hinzufügte. Die Fusion gelang, das Baby klang zwar wie ein Bastard aus einer unheilvollen Verbindung zwischen Glen Danzig und Nitzer Ebb, aber glitzerte blau und hell und schön.
Engler widmete sich den Umwälzungen hierzulande und lieferte mit „Germanic“ einen der ersten und konsequentesten Beiträge zur Wiedervereinigung ab. So wie die Politik wieder aus dem Privaten verschwunden ist, hat sich auch Engler aufs Persönliche zurückgezogen. Nach eindeutigen Kommentaren sucht man auf „III“ vergeblich, aber gerade deshalb liefert er ein recht exaktes Bild von der Verfassung dieser Gesellschaft. Dörper steuert mit seinem Sampler weiter möglichst lebensferne Industrial-Klänge bei, die Gitarre ist gewetzt, und Engler hat das metallene Pathos in seiner Stimme zu einsamer Perfektion gebracht. Die Krupps 1995 sind glamourös und dabei staubtrocken, sie sind gewaltig und bösartig, sie sind stumpf und doch tanzbar, sie sind licht und grell und eingängig und weitsichtig. Und sie sind verdientermaßen unverschämt erfolgreich. Thomas Winkler
Heute, 21 Uhr, mit Waltari, Huxley's Neue Welt, Hasenheide 108–114, Neukölln
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