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Christdemokratische Urängste

Trotz der optimistischen Prognosen ist sich die CDU ihres Sieges keineswegs sicher. Mancher fürchtet gar eine geschwächte Sozialdemokratie  ■ Von Severin Weiland

Wenn der CDU-Abgeordnete Reinhard Führer an den 22. Oktober denkt, wünscht er sich insgeheim vor allem eines: „Bloß keinen Regen.“ Denn sollte der Himmel am Wahltag seine Schleusen öffnen, dürfte ein großer Teil des ohnehin so unberechenbaren Wahlvolkes wohl zu Hause bleiben. Je weniger zu den Urnen strömen, umso schlechter für die großen Parteien.

So machen die optimistischsten Prognosen, die der CDU zwischen 35 und 41 Prozent attestieren, die Strategen in der Partei zunehmend nervös. Fraktionschef Klaus-Rüdiger Landowsky appellierte jüngst an die Medien, wenige Wochen vor dem Stichtag auf die Veröffentlichung von Umfragen zu verzichten. Sie könnten, monierte er, „als taktische Wahlbeeinflussung mißverstanden werden“.

Landowskys Sorge galt wohl weniger dem Heil des Bürgers als vielmehr den Chancen der eigenen Partei. Je öfter die CDU als Sieger gehandelt wird, umso lethargischer könnte der Wähler reagieren. Ein Effekt, vor dem dem CDU-Haushaltsexperte Führer, Direktkandidat in Neukölln, regelrecht graust: „Noch ist gar nichts gegessen.“ Zu gute Prognosen, weiß der erfahrene Parlamentarier, „können zum Einschläfern führen, nach dem Motto: Es ist ja eh alles schon gelaufen, da brauche ich mich noch nicht mal mehr um meine Briefwahlunterlagen zu kümmern und fahre statt dessen ins Grüne.“

Die Angst, böse aufgeweckt zu werden wie einst 1989, sitzt tief in der CDU. Damals sahen die Umfragen Eberhard Diepgen klar auf der Siegerstraße – am Ende gab es eine gehörige Ohrfeige und unverhofft einen rot-grünen Senat. Gebrochen wurde der CDU das Genick insbesondere durch die Konzentration auf den Spitzenkandidaten, dem die Wähler seine Verwicklung in den Bauskandal nicht vergessen hatten. Aus dem Fehler haben CDU-Wahlstrategen gelernt. Auf selbstherrliche Diepgen- Plakate wie vor sechs Jahren – Motto: „Ihn will Berlin“ – wurde gänzlich verzichtet. Diesmal, so ist sich der CDU-Verfassungsexperte Hubert Rösler sicher, „stimmt unsere Wahlwerbung“. Da gebe es neben den Plakaten für Diepgen auch jene mit „klaren Sachaussagen“.

Unzufriedenheit, gar Nervosität in der CDU? Nein, nein, beteuert der 57jährige, der in der CDU- Hochburg Tempelhof im Wahlkreis 4 antritt. Die Stimmung sei nun wahrlich ganz anderes als 89: „Je näher wir damals dem Wahltag kamen, um so schlechter wurden die Prognosen für uns. Jetzt ist es genau umgekehrt.“

Nicht wenigen Anteil an der CDU-Niederlage von 1989 hatte das unerwartete Aufkommen der „Republikaner“. Zwar wurden die Rechtsextremen in den letzten Jahren gesellschaftlich weitgehend geächtet, doch die Sorge, daß mancher seine Stimme an die Reps verschenken könnte, werden die Christdemokraten nicht los. Zumal bei einer niedrigen Wahlbeteiligung, die in der Regel den kleineren Parteien zugute kommt.

Unerwartet viele Menschen, erzählt Monika Grütters, eine der wenigen Kandidatinnen bei der CDU, sprächen sie bei ihren Wilmersdorfer Wahltouren auf die Reps an. Die Frage, ob man nicht „doch die Reps wählen soll, kommt häufiger als die nach der FDP“. Das habe sie „in dieser Massivität“ nicht erwartet. Niemand rechnet in der CDU ernsthaft mit dem Einzug der Reps ins Parlament. „Die können aber“, befürchtet Führer, „gerade in dem klassischen CDU- und SPD-Milieu Protestwähler abgrasen“.

Die dahinsiechende FDP hat die CDU längst abgeschrieben. Zwei bis drei Prozent erwartet laut Forsa die Partei des Bundeswirtschaftsministers Günter Rexrodt. Den Todgeweihten bestraft die CDU mit demonstrativer Nichtbeachtung.

Als Bundeskanzler Helmut Kohl kürzlich Spitzenkräfte der Wirtschaft zum Stelldichein nach Berlin bat, wurde der Landesvorsitzende Rexrodt nicht einmal eingeladen. „Was die Liberalen angeht, ist unserer Wahlkampf so angelegt, daß sie gar nicht erwähnt werden“, sagt Rösler, und es klingt, als sei der damit durchaus zufrieden.

Weniger der Zerfall der FDP als das Siechtum der SPD wird von manchem CDUler mit Sorge beobachtet. Ein Paradoxon? Nur auf den ersten Blick. Natürlich will die CDU stärkste Kraft werden, soll Diepgen in einer Großen Koalition weiterhin den Regierenden Bürgermeister spielen.

An einer allzu geschwächten SPD aber ist der CDU schon aus strategischem Kalkül nicht gelegen. Vier weitere Jahre will man möglichst unbeschadet die Stadt regieren. Was, wenn die SPD ein Debakel erlebt und wieder mit der CDU zusammengehen muß? „Hauen die aus Schwäche“, fragt sich der 49jährige Führer, „dann innerhalb einer Großen Koalition immer mal wieder mächtig auf den Putz?“

Auch Grütters möchte lieber einen „starken Koalitionspartner“ als einen „angeschossenen Bär“ (Führer). Schließlich brauche die Große Koalition breite Unterstützung in der Bevölkerung.

Nur Rösler mag sich den Sorgen seiner Parteifreunde nicht so recht anschließen. „Die Zusammenarbeit mit einer kleinen SPD kann nur besser werden“, meint er. Selbstsicher auch sein Tip für den 22. Oktober: „Wir kriegen 40, die SPD 30 Prozent“.

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