: „Postkoitale Glückseligkeit“
Der Labour-Parteitag im britischen Badeort Brighton war eine einzige Demonstration der Einheit hinter Tony Blair. Nichts wurde dem Zufall überlassen, und die Delegierten spielten brav mit ■ Aus Brighton Ralf Sotscheck
Der englische Schauspieler Tony Booth ist stolz auf seinen Schwiegersohn. Er springt von seinem Sitz im Kongreßzentrum von Brighton auf, formt seine Hände zum Megaphon und ruft ein „Bravo“ in Richtung Bühne. Dort oben steht der Angesprochene, Arm in Arm mit seiner Frau Cherie Booth, und läßt sich nach seiner Rede feiern. Tony Blair, der britische Labour-Chef, sagt danach, er habe sich zum ersten Mal in seine Partei verliebt.
Das war am Dienstag. Danach versank der Labour-Parteitag, der gestern zu Ende ging, in Langeweile – oder, wie eine Delegierte es ausdrückte: in „postkoitale Glückseligkeit“. Blair habe weniger eine Rede gehalten als vielmehr ein Glaubensbekenntnis abgelegt, sagt sie. „Gute Leute. Patrioten. Das neue Britannien. Das Land wiedergeboren. Labour neu“, skandierte Blair. Die neue Labour Party komme ohne Verben aus, meint die Delegierte. Und der Bischof von Willesden, Graham Dow, der Blair vor 22 Jahren eingesegnet hat, lobt seinen ehemaligen Konfirmanden dafür, daß er „Gott in die Politik zurückgeholt“ habe. „In seiner Rede ging es um Moral und die Seele, um die spirituelle Regenerierung des Landes“, sagt der Bischof, „die christliche Kirche kann gar nicht anders, als wie verrückt zu jubeln, wenn er solche Dinge ausspricht.“ Ein Tory mit sozialem Gewissen, sagt ein Fernsehreporter über Blair.
Nur der Simpson-Prozeß störte das Management
Der Kreis um Blair hat nichts dem Zufall überlassen. Jeder Schritt des Parteichefs ist geplant. Zu Beginn des Parteitages schaffte man das englische Fußballidol Kevin Keegan heran, der mit Blair auf einer Wiese in Brighton den Ball hin und her schob. Es sei das erste Mal, daß er seine Kinder beeindruckt habe, sagt Blair, nachdem er den Ball 37mal hintereinander geköpft hatte. Selbst auf den Rahmenveranstaltungen, wo es früher oft hoch herging, zücken die Redner und Rednerinnen plötzlich Strategiepapiere mit Anweisungen von höchster Stelle. Der ehemalige Labour-Vize Roy Hattersley, vom Parteirechten zum Dissidenten gewandelt, sagt, daß so etwas noch vor fünf Jahren undenkbar gewesen wäre: „Die Delegierten hätten die Papiere in den nächsten Abfalleimer geworfen.“
Heutzutage ist der Parteitag eine Demonstration der Einheit. „Was das Parteimanagement angeht, so haben wir die Tories schon vor einem halben Jahr überholt“, sagt Hattersley. Nur den Prozeß gegen 0. J. Simpson hatte man nicht im Griff: Die Urteilsverkündung am Dienstag abend verdrängte Blair und seine Rede von den Titelseiten der Zeitungen, und im Fernsehen war es nur die zweite Meldung. Lediglich die BBC spurte, nachdem Blairs Berater einen mahnenden Brief an das Staatsfernsehen geschrieben hatten. Man wollte es sich nicht mit dem zukünftigen Premierminister verderben. Die Delegierten kümmerte das nicht. Zu den Sechs- Uhr-Nachrichten drängelten sie sich allesamt um die Fernsehgeräte, um das Simpson-Urteil live mitzuerleben.
Der große Optimismus bei der Basis macht dem Vorstand ein bißchen Angst. Zu deutlich ist die Erinnerung an die letzten Wahlen, als Labour der sicher geglaubte Sieg durch die Hände glitt. „Wenn wir es 1997 wieder nicht schaffen, sind wir keine Partei von nationaler Bedeutung mehr“, argwöhnt Clare Short vom Parteivorstand. Blair glaubt ebenfalls, daß es die letzte Chance ist: „Die Zahl der enttäuschten Menschen wäre groß, wenn Labour die Wahlen verliert. Also müssen wir dafür sorgen, daß das nicht passiert.“
Für solche Gedanken ist jedoch kein Platz auf dem Parteitag. Jedesmal, wenn der kommende Wahlsieg erwähnt wird, brechen die Delegierten in begeisterten Jubel aus, als ob man dadurch böse Zweifel verscheuchen wollte. Die Zwischenrufe, für die Labour-Parteitage in der Vergangenheit berühmt waren, gibt es diesmal nur vor der Halle. Dort bauen sich jeden Tag rund 20 Tierschützerinnen aus dem benachbarten Shoreham auf, die ihre grauen Dauerwellen mit durchsichtigen Plastikhauben vor dem heftigen Regen geschützt haben. Sie protestieren lautstark gegen den Export britischer Kälber vom Hafen in Shoreham nach Frankreich und in die Niederlande, wo die Tiere in Mastkäfigen gehalten werden. „Exportiert Blair nach Frankreich“, schreit eine Frau. Dabei ist Blair gar nicht für den Kälberexport. Im Gang neben der Haupthalle gibt es einen Stand der Labour Animal Welfare Society, die ebenfalls gegen den Tierexport ist. Mit einem kitschigen Plakat wirbt sie für Tierschutz: Fuchs und Hase, ein Regenbogen und Noahs Arche. Dazu Vogelgezwitscher vom Band.
Ein Stück weiter hat sich die schottische Whiskyindusrtrie breitgemacht. Zu trinken gibt es nichts, es liegen lediglich Unterschriftenlisten aus: „Protestieren Sie beim Schatzkanzler gegen die hohen Steuern auf schottischen Whisky.“ Die Blatt ist weiß. Traut sich kein Delegierter zu unterschreiben, weil die Labour-Parteitage bisher als Saufgelage verschrien waren und „New Labour“ auch dieses Image loswerden will?
„Labour-Parteitage sind nicht mehr das, was sie mal waren“, sagt ein Abgeordneter aus Yorkshire. Diesen Satz hört man im Laufe der Woche oft. Nur bei zwei Themen blitzt noch einmal so etwas wie eine Debatte auf. Einmal geht es um die Verteidigungspolitik. Wie üblich wird der Antrag gestellt, die Trident-Atom-U-Boote zu verschrotten, wenn man an der Macht ist. Doch diesmal geht der Antrag nicht durch, weil sich der Vorstand dagegen sträubt. Selbst die Forderung nach Kürzung des Rüstungshaushalts wird abgeschmettert – alles im Interesse der Wählbarkeit, meint Elaine Pugsley aus Somerset. Sie sagt: „Wir müssen uns verpflichten, die Tridents aus dem Verkehr zu ziehen, damit man sieht, daß wir meinen, was wir sagen.“ Luke Akehurst, ein Student mit roten Haaren, großer Brille und einem freundlichen Milchgesicht, ist gegen einseitige Abrüstung: „Das hat uns in der Vergangenheit den Wahlsieg gekostet“, sagt er. „Die Leute verstehen nicht, daß wir unsere Waffen wegwerfen sollen, statt sie wegzuverhandeln.“
Das Internet soll die Jugend anziehen
Bei der Bildungspolitik, dem anderen Konfliktpunkt, läuft auch alles nach Wunsch. Vor dem Parteitag schien es noch, als sollte der Vorstand Schiffbruch erleiden, denn viele Delegierte sind gegen das von den Tories eingeführte Zwei-Klassensystem, in dem manche Oberschulen nicht von den Bezirksverwaltungen, sondern direkt von der Regierung finanziert werden. Hattersley formuliert die Kritik in einer scharfen Rede, die ein indirekter Angriff auf Blair ist: Der Parteichef hat seinen elfjährigen Sohn Evan auf eine solche Eliteschule geschickt. David Blunkett, der blinde Bildungssprecher, weist Hattersley in seine Schranken. Die Abstimmung geht deutlich zugunsten des Vorstands aus. In der ganzen Woche hat der Vorstand nicht eine einzige Niederlage einstecken müssen – das hat es bisher noch nie gegeben.
Im Gang hinter dem Labour- Shop gibt es warmen Schweinebraten im Brötchen für umgerechnet sechs Mark. Die französische Firma Ecovert South, die für die Bewirtung im Kongreßzentrum von Brighton zuständig ist, zahlt ihren Leuten umgerechnet knapp sieben Mark in der Stunde. „Sagt Tony Blair, daß er für ein bißchen mehr Geld sorgen soll“, bittet die Schweinebratenverkäuferin einen Kunden. Doch Blair paßt die Sache mit dem Mindestlohn nicht. Er will sich nicht auf eine Zahl festlegen, um den Tories keine Munition zu liefern.
Jane Saren, Delegierte aus Edinburgh, hat noch am Montag unter donnerndem Applaus erklärt, daß 17 Wahlkreise gemeinsam einen Antrag auf Mindestlohn in Höhe von 4,15 Pfund formuliert hätten, um endlich dem Niedriglohn für Frauen den Garaus zu machen. Wieder funktioniert das Management hinter den Kulissen: Blair verspricht der Transportarbeitergewerkschaft, die sich bisher ebenfalls für diesen Mindestlohn eingesetzt hatte, zwei Sitze in einem künftigen Niedriglohnausschuß, wenn sie gegen den Antrag stimmt. Ohne die Gewerkschaft im Rücken sieht Jane Saren in ihrem Antrag keinen Sinn mehr und zieht ihn zurück.
In der Bar neben dem Bratenstand findet die „Virtual Conference“ statt: Tony Blair im Internet. Fünf Computer stehen bereit, an denen sich die Delegierten unter Anleitung auf die Datenautobahn begeben können. Einer hat sich ein Foto des Parteichefs auf den Bildschirm geholt. „Das hat Labour von den US-Rechten wie Gingrich und Perot gelernt, die sich das Schlagwort von der elektronischen Demokratie auf ihre populistischen Fahnen geschrieben haben“, meint er. „Es ist eine alte Illusion, daß neue Technologien die Lebensqualität verbessern können, wenn die Politik versagt hat.“ Eine ältere Delegierte, der Computer „eigentlich unheimlich“ sind, widerspricht ihm: „Die Jugend hat mit politischen Institutionen nichts im Sinn“, sagt sie, „vielleicht ist das Internet der Weg, um sie anzusprechen.“
Immerhin hat Labour seit Blairs Wahl zum Parteichef im Sommer vergangenen Jahres 13.000 neue Mitglieder unter 26 Jahren zu verzeichnen. Labour wird bald die größte britische Partei sein, insgesamt zahlen jetzt schon 350.000 Menschen ihren Beitrag – mehr als ein Drittel davon sind in der Blair- Ära beigetreten. Einer davon ist George Tatch, ein 18jähriger Student aus Hull, dessen Eltern in den sechziger Jahren zum trotzkistischen Parteiflügel gehörten. Er selbst ist Blair-Anhänger. „Man muß an alles pragmatisch herangehen“, sagt er. „Das hier ist die neue Labour Party. Sie ist nicht mehr so ideologisch wie früher, sondern denkt erst mal über die Folgen von Entscheidungen nach. Ich finde das gut.“
Das findet auch Tony Blairs Vater Leo. Der 71jährige war sein Leben lang Tory, vor zwei Wochen ist er in die Labour Party eingetreten. „Die von den Tories geplante Privatisierung der Eisenbahn hat den Ausschlag gegeben“, sagt er. Labour gut. Britannien neu. Sohn Premierminister?
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen