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Deprimierend lustig, diese Jugend

„Jugendliche zwischen Lust und Last“ – Ein „Moskito“-Themenabend auf arte und leider auch ein Abgesang auf das öffentlich-rechtiche Jugendfernsehen (Sonntag ab 20.40 Uhr)  ■ Von Marcus Hertneck

Heute abend kann man es noch einmal anstaunen: das öffentlich- rechtliche Jugendfernsehen mit seinen Filmen von, mit, über und für die Kids von heute. Dann hat die „Moskito“-Redaktion ihren Dienst an der Zielgruppe der 13- bis 19jährigen abgeleistet. Im kommenden Jahr wird der SFB die Sendungen und damit auch den Etat einsparen und dafür mehr Spielfilme und Seifenopern senden.

Mit seinen zehn, zuletzt immer wieder lieblos hin- und herverschobenen, jährlichen Sendeplätzen und auch wegen seiner Machart hätte „Moskito“ auf dem Markt keine Chance mehr gehabt, heißt es beim SFB. Wer sich heute bei den Jugendlichen Gehör verschaffen will, muß dies schon mindestens wöchentlich – wenn nicht täglich tun. Aber wie aus der Programmdirektion der ARD zu hören war, bestünde zur Zeit kein Bedarf mehr an einem solchen „Weltverbesserungsfernsehen“. Also will man schon zum Taschentuch greifen. „Moskito“ hat seit seiner ersten Sendung im Jahre 1987 ziemlich viele Preise für besonders jugendliches Jugendfernsehen eingeheimst, manchen galt es gar als „schrill, fetzig, ätzend“, wie man dem SFB-Pressetext entnehmen kann. Leider, leider aber schaut sich der marktgängige Jugendliche von heute vor allem Spielfilme und Soap-operas an, wenn er überhaupt noch fernsieht. Denn der Jugendliche an sich sieht konstant wenig fern – im Vergleich zu uns Älteren, glaubt man den Studien der WDR-Medienforschung. Und so wird ihm wohl auch das heutige „Moskito“-Doppelpack entgehen, das den Themenabend in Sachen Jugend, „Lust und Last“ rahmen soll (Zusammenstellung: Cosima Santoro).

Zudem sind dort einige Videos von Jugendlichen zu sehen (um 21.25 Uhr und 0.45 Uhr), der harte, aber wahre englische Fernsehfilm „Safe“ von Antonia Bird über obdachlose Londoner Jugendliche (um 21.40 Uhr) und die Dokumentation über die Pariser Tanzgruppe „Black Blanc Beur“ (23.55 Uhr). Und man weiß nicht so recht, ob unsere Jugendlichen viel verpassen werden, wenn die zwei letzten „Moskitos“ aus dem Mikrowellenherd des SFB fliegen werden, um uns alle mit ihrem Sirren aufzustören. Für die Sendung „Lust“ haben Meyen Wachholz, Juiane Rossius und Ann Schäfer teilweise monatelang Jugendliche suchen lassen, die Lust dazu haben, wozu die Jugendlichen auch im echten Fernsehen Lust haben: auf Sex & Crime.

Und so werden uns Berliner Lausejungen davon erzählen, wieviel Spaß es ihnen macht, in der S- Bahn „Mädchen zu ärgern“ und „in reality“ nachspielen, wie man Frauen Angst einflößen kann. Ein Pärchen wird zeigen, wie sie unter der Dusche sexkuscheln. Trotz aller feucht-prasselnden Geräusche werden sie dabei den technischen Ablauf ihrer Flirts korrekt und (meines Wissens nach) vollständig kommentieren. Andere wieder werden sich dem Kaufrausch ergeben. Mädchen werden sich als Jungs verkleiden, in Pornoläden spazierengehen und die „Moskito“-Comiczeichner werden uns zeigen, was Jugend heute heißt: „Take your fun!“

Und immer wieder wird man sich fragen, warum diese Jugendlichen eigentlich solche schrillen, fetzigen und auch ätzenden Kotzbrocken sind. Vielleicht, weil sie der Lustimperativ in den Redaktionsstuben des deutschen Jugendfernsehens so deformiert hat? Denn egal, ob sie sich vor den Kameraleuten ausziehen müssen, Mädchen erniedrigen, konsumrauschen oder Pornos lesen: Immer lustig! sind sie und immerzu so deprimierend anzuschauen.

Kurz vor Mitternacht (um 23.10 Uhr) wird dann die letzte „Moskito“-Sendung gesendet werden: „Last“ (dt. von „Belastung“). In kurzen Dokumentationen werden Jugendliche porträtiert, die auf der Straße, in Pflege und vom Sozialamt leben. In Sketchen und Cartoons sollen ihnen dann „Auswege durch gesunden Humor“ gezeigt werden, wie der Pressetext ankündigt. Und man weiß nicht, ob man dann in Richtung Fernseher beißen oder schneuzen soll. Denn ein solches öffentlich-rechtliches Jugendfernsehen meidet ähnlich wie „Bravo-TV“ oder „Hugo“ den ehrlichen Ton, das echte Reden. Auch diese TV-Jugend erscheint einem wie von Designern erfunden, die sich an einer Strategie versuchen, eine pädagogisch gedachte Sendung nicht pädagogisch erscheinen zu lassen. Ihre Kids wirken wie frisch gefönte, fiese Lachsäcke mit nichts anderem im Sinn, als daß jemand an ihrem Schnürchen zieht – sollte sie mal ein Problemchen streifen. Dabei will man eigentlich so richtig traurig sein, daß „Moskito“ eingestellt wird. Zu Humboldts Zeiten galt es doch als feinstes Interesse der Gesellschaft, die Jugend zu erziehen, um mit ihr die Zukunft zu gestalten.

Die Abschaffung des öffentlich- rechtlichen Jugendfernsehens zeigt nur, wie wenig Interesse die Öffentlichkeit der neunziger Jahre an ihrer eigenen Zukunft hat. Und nicht mehr lang, dann wird auch sie einfach abgeschafft werden. Immer lustig und lästig lachend, wie sie sich heute schon gebärdet, wird es keinem auffallen.

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