: Wie Major die Wahlen gewinnen will
Gestern ging in Blackpool der Parteitag der Tories zu Ende. Die versprochenen neuen Ideen und Initiativen blieben aus. Nur eine antieuropäische Tirade sorgte für Aufsehen ■ Von Ralf Sotscheck
Man kann ja nie wissen. Der britische Premierminister John Major hat gestern seine Parteitagsrede vorsichtshalber um 20 Minuten verschoben, um die Bekanntgabe des Friedensnobelpreisträgers abzuwarten.
Major war wegen des nordirischen Friedensprozesses nominiert worden. Dann gewann jedoch ein anderer Brite, und Major konnte zur Tagesordnung übergehen. „Heute ist Freitag, der 13.“, begann er seine Rede, „es ist der Tag, an dem ich euch sagen werde, wie wir die nächsten Wahlen gewinnen werden.“ Das tat er dann aber doch nicht. Es war eine populistische Rede, die für jeden etwas enthielt: hundert Millionen Pfund in den nächsten drei Jahren für unabhängige Schulen, Beibehaltung der Grenzkontrollen, eine nationale Polizeieinheit im Stile des FBI, 10.000 Überwachungskameras auf den Straßen, 5.000 neue Stellen für die Polizei und – schließlich hat der Wahlkampf bereits begonnen – Steuersenkungen bis hin zur Abschaffung der Erbschaftssteuer und der Kapitalzuwachssteuer. Und Europa? Major machte einen Spagat: Er sei für Europa, sagte er, aber gegen Föderalismus. Das Thema hat bei den Tories an Brisanz eingebüßt, nachdem auch anderswo in Europa die Handbremse in puncto Währungsunion angezogen worden ist.
Die Delegierten waren voller Erwartungen nach Blackpool zum Parteitag gereist, der gestern zu Ende ging. Man hatte ihnen neue Ideen und neue Initiativen versprochen. Die Kabinettsmitglieder waren seit Monaten in ihren Aktivitäten geradezu gelähmt, weil sich jeder ein Bonbon für den Parteitag aufheben wollte. Das meiste war heiße Luft: Die Privatisierung der Eisenbahn ist ebensowenig neu wie die Verschärfung der Haftstrafen für Wiederholungstäter, die bessere Ausbildung von SchuldirektorInnen reißt niemanden vom Hocker, und der Entschluß des Sozialministers Peter Lilley, den AsylbewerberInnen die ohnehin bescheidenen Bezüge zu kürzen, ging einigen zu weit.
In Erinnerung wird dieser Parteitag vielen wegen der haßerfüllten antieuropäischen Rede von Verteidigungsminister Michael Portillo bleiben. Gestern kam heraus, daß Major den Text zuvor abgesegnet hatte. Die meisten Kabinettskollegen behaupten jetzt freilich, daß sie die Rede gar nicht gehört haben, wenn sie um Stellungnahme gebeten werden.
Portillo gehört zum Tory-Nachwuchs und gilt als aussichtsreichster Kandidat für die Major-Nachfolge. Das Durchschnittsalter der Tories liegt jedoch bei 62. Die Partei hat zehn Millionen Pfund Schulden, und um Geld zu sparen, hat man vor kurzem die Jugendabteilung geschlossen. Um LabourChef Tony Blair, der auf dem Parteitag in der vergangenen Woche wiederholt vom „jungen Britannien“ sprach, das Feld nicht kampflos zu überlassen, veranstalteten die Tories eine Art „Kinderparty“: Der Leichtathlet Sebastian Coe, der damals Thatchers Olympia-Boykott ignorierte und in Moskau eine Goldmedaille holte, lief mit dem Mikrofon durch den Saal in Blackpool und befragte einige jüngere Delegierte.
Der jüngste kam jedoch nicht zu Wort: Justin Hinchcliffe ist selbst den Tories zu rechts. Dabei hatte sich der 14jährige gut vorbereitet, nachdem ihn der Kreisverband Tottenham zum Delegierten ernannt hatte. Er tritt für die Schließung des örtlichen Krankenhauses ein, weil die Insassen ins Pflegeheim gehörten; er ist gegen die Erhöhung der Sozialhilfe für alleinerziehende Mütter, weil sie doch prima auskämen; und den Obdachlosen rät er, in der Themse zu angeln, wenn sie Hunger haben. Hinchcliffe trat den Tories vor vier Jahren bei. Eines Tages will er Premierminister werden, sein Vorbild ist Margaret Thatcher. Die feierte gestern ihren 70. Geburtstag. Am Abend zuvor bereiteten ihr die Delegierten in Blackpool einen begeisterten Empfang. Sie kann zufrieden sein: Die Partei hat sie in dieser Woche rechts überholt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen