: Vaters Tochter und gesunde Hosenknöpfe
Lakota-Indianer, Wattenscheid 09 und Nickelallergie: Britta Steilmann entwirft Naturklamotten und erklärt der Welt, wie alles mit allem zusammenhängt ■ Von Christoph Biermann
Was diese Geschichte ziemlich kompliziert werden läßt, ist, daß es hier um nicht weniger als alles geht. Also muß vielerlei erklärt werden, nicht nur an diesem Samstag nachmittag in ihrem Büro in Wattenscheid. Stets und ständig redet Britta Steilmann auf ihre Kunden und andere Unternehmer ein, auf Manager des väterlichen Konzerns und Politiker, auf Chemiker oder eben Journalisten.
Nur erscheinen ihren Mitmenschen die Mitteilungen der 29jährigen Unternehmerin als „zuviel, zu intensiv, zu geballt und zu komplex“, wie sie selbst meint. Und dann erzählte Britta Steilmann, während sie ihre langen, glatten Haare zu einem Pferdeschwanz zusammenbindet, dann wieder löst und sich erneut eine Zigarette ansteckt, die Geschichte von einem Vortrag, den sie neulich hielt. Dabei erklärte sie erneut, daß Natur nicht gleich Ökologie sei. Daß es bei dem Konzept des „sustainable development“ nicht allein um giftfreie Kleidung für die Erste Welt gehe, sondern auch um Arbeitsschutz für Weber in Bangladesch, Kinderarbeit in der Türkei und Kläranlagen für Färbereien in Rumänien.
Sie erklärte auch, daß synthetische Fasern in der Ökobilanz mittelfristig wohl besser als Naturfasern abschneiden würden, die von Umweltgiften zu stark belastet seien. Schließlich gehe es, so zitierte sie ihren Werbeslogan, um eine Mode, „die schön macht und nicht krank“. Das alles paßte natürlich in keinen Zeitungsartikel, weshalb Britta Steilmann am nächsten Tag lesen mußte, daß sie ungeschminkt kam und nur Natur trug. Angesichts einer solchen Reduktion von Komplexität wollte sie „am liebsten in den Tisch beißen“ und wirft auch jetzt wieder entrüstet die Arme in die Luft.
Verständlich ist das auch, weil sie ihre Produkte unter ihrem Namen vermarktet. Das soll für Glaubwürdigkeit sorgen, aber Britta Steilmann gibt zu, daß im Laufe der Zeit ein „wahrscheinlich ziemlich diffuses Bild“ von ihr entstanden ist. Das stimmt. Sie brachte die Lakota-Indianer, die wir aus Karl-May-Büchern noch als Sioux kennen, ins Spiel und damit das Problem des Uranbergbaus, der in ihrem Reservat in Süddakota stattfindet. Sie reüssierte als von viel Gezänk und Streit begleitete Managerin des Fußballklubs Wattenscheid 09 und stieg vor wenigen Wochen wieder aus. Beim Bundestagswahlkampf tauchte sie als Beraterin von Rudolf Scharping auf. Und vor kurzem hat sie ein Buch mit dem ziemlich wuchtigen Titel „Millennium Moral“ vorgestellt, das ein ausführliches Interview mit dem Trend-Schwätzer Matthias Horx enthält.
Dieses Sammelsurium von Öko und Fußball, Indianern, doppeltem Polit-Lottchen und Moraldebatte legt den Verdacht nahe, daß es sich bei Britta Steilmann entweder um eine ziellos dahersalbadernde Gutmenschin oder um eine abgefeimte, auf der Marketing- Klaviatur spielende Abzockerin handeln könnte.
Die real existierende Britta Steilmann auf der anderen Seite des großen zugemüllten Arbeitstisches, auf dem Zeitschriften, Stoffproben und Einzelstücke ihrer Kollektion verstreut sind, ist eine aufmerksame Gesprächspartnerin. Sie hört richtig zu, wenn sie gefragt wird, und versucht, was nicht eben selbstverständlich ist, zu antworten. Offensichtlich möchte sie vor allem als authentische Person erscheinen, denn „das Schauspielerische liegt mir sowieso nicht“. Also schnoddert sie auch gerne mal „Scheiße“ oder „Arschloch“ daher und klingt nicht nur wie ein Mädchen aus Wattenscheid, sondern wirkt auch so unprätentiös wie eines, mit dem man biertrinkenderweise einen Abend am Flipper verbringen könnte.
Aber diese Direktheit wirkt brüchig. Als wolle sie beweisen, trotz ererbten Reichtums moralisch die Klassenbeste zu sein, verweist sie immer wieder auf die sozialen und ökologischen Implikationen ihres Tuns. Was so seltsame Blüten treibt, daß sie Vogue anvertraut, Kunst gehöre nicht in ihre Wohnung, sondern ins Museum, „wo sie der Allgemeinheit zugänglich ist“. Man kann ahnen, daß sich hinter solchen Positionen das Unbehagen an der ererbten Rolle verbirgt. „Von Geburt an habe ich viele Hüte zu tragen“, sagt die erstgeborene von drei Töchtern des Textilmagnaten Klaus Steilmann. Ihr Unternehmen ist ein Profit- Center im väterlichen Konzern. Und diesem größten Textilunternehmen Europas, in dem jährlich 26 Millionen Kleidungsstücke produziert werden, wird sie vielleicht schon in zwei oder drei Jahren vorstehen. Darauf „war meine ganze Erziehung ausgerichtet“, sagt Britta Steilmann, und das ist sicherlich der Hut, der am meisten drückt. Sie ist darauf eingeschworen worden, Verantwortung zu übernehmen, und versucht sich nun an eigenen Deutungen dieses Begriffs. Und die sollen anders, wenn auch nicht zu anders sein als die ihres Vaters, des patriarchalischen Selfmademans, den sie als Vorbild nennt und dessen Augen sie hat. Ohne hier zuviel Küchenpsychologie betreiben zu wollen: Es ist kaum zu übersehen, daß sie sich an ihrem Vater abarbeitet. Der gehört zwar dem „Club of Rome“ an, aber offensichtlich will die Tochter ihn überflügeln.
Auch unternahm sie Schritte in die große Politik, in der sich ihr Vater auf den Pfaden der CDU schon lange bewegt. Heute sieht sie ihr Engagement als Beraterin von Rudolf Scharping als Fehler, aber nicht weil sie „das Parteiprogramm der SPD nicht so gut findet“, sondern weil sie „dadurch in die Mühlen des Wahlkampfs geraten“ ist. Die SPD schlachtete entgegen der Absprachen ihre Treffen mit Scharping aus, worauf Bild lancierte, sie würde CDU wählen, was sie energisch bestreitet. Dumm gelaufen, wie auch ihr Engagement als Managerin von Wattenscheid 09. Sie versuchte den krisengeschüttelten Klub gründlich zu reformieren. Auf der Tribüne rutschte sie aber nicht allein deshalb nervös herum und stellte neue Rekorde im Schnellrauchen auf, weil sie selber von klein auf an dem Klub hängt. Sie wußte auch, daß Wattenscheid 09 die Herzensangelegenheit ihres Vaters ist.
Der manchmal etwas undurchschaubare Mix der Motivationen hat in der Öffentlichkeit aber nicht nur für eine Reihe von Zweifeln gesorgt; ihre Präsenz löste auch plumpe Begehrlichkeiten aus. Im letzten Jahr konnte die Polizei zwei Männer festnehmen, die Britta Steilmanns Entführung und das Erpressen von Lösegeld geplant hatten. Seitdem geht sie, anders als vorher, nicht mehr allein aus und fühlt sich in größeren Menschenansammlungen unwohl, wie etwa im Stadion. „Auch hat sich mein Bedarf sehr reduziert, neue Menschen kennenzulernen“, sagt sie. Und so sorgt auch der Schatten dieser Bedrohung dafür, daß sie sich noch mehr in die Arbeit stürzt.
Britta Steilmanns Profit-Center wird in diesem Jahr 200.000 ökologisch korrekte Kleidungsstücke verkaufen, 10 Millionen Mark Umsatz überschreiten und im dritten Jahr wohl erstmals schwarze Zahlen schreiben. Ihr betriebsamer Kampf für nickelfreie Hosenknöpfe oder ungiftige Farben wird innerhalb der Branche immer noch als, so Steilmann, „Mega-Provokation“ verstanden, obwohl er vor wenigen Tagen durch das Bundesverdienstkreuz wegen ihres „Einsatzes für schadstoffarme Textilien“ geadelt wurde.
Die Aussicht, die Produktionsbedingungen der Textilindustrie, des zweitgrößten Umweltverschmutzers der Welt, weitgehend zu verändern, setzt eine Menge Energie frei. Nicht nur mit Blick auf den väterlichen Konzern, wo sie als Leiterin des Umweltressorts den anfallenden Müll um 85 Prozent reduziert hat. „Es würde sich gigantisch viel ändern, wenn ich allein Levis so auf die Nerven ginge, daß die Jeans so herstellen, wie ich es mache“, sagt sie.
Doch bis dahin steckt sie in der Zwickmühle, ihre Mode als Traumwelt verkaufen zu wollen, aber andererseits mit moralischen Kategorien und Angst werben zu müssen. Wer will denn schon wissen, daß eine knackige Jeans und das schicke neue T-Shirt häßliche Allergien und noch häßlichere Neurodermitis auslösen können?
Außerdem möchten viele Läden ihre Kollektion am liebsten in kleinen Idyllen, auf sperrigen Strohballen etwa, anrichten. Wo Britta Steilmann sie doch gerne einfach ins Regal legen würde und darauf setzen, daß den Käufern die Stücke gefallen und sie den ökologischen Mehrwert einfach so mitnehmen. „Aber dann rufen die Verkäufer wieder hier an und fragen mich, ob sie nicht wenigstens ein paar Sonnenblumen ins Fenster legen dürfen“, sagt Britta Steilmann und muß darüber ziemlich lachen, was in der mitunter etwas schwermütigen Ernsthaftigkeit einen intakten Sinn fürs Komische beweist.
Ihr großer zotteliger Hund schnauft derweil unter dem Schreibtisch. Von der Fensterbank aus schaut ein Gartenzwerg im Trikot von Wattenscheid 09 in die Tristesse des Gewerbegebiets. An der Wand hängen Fotos aus dem Reservat der Lakotas. Die Abzüge sind auf weiße Blätter gepappt, und die Namen der Fotografierten stehen darunter. Beim World Uranium Hearing vor vier Jahren in Wien war Britta Steilmann auf die Abordnung der Lakotas deshalb aufmerksam geworden, weil diese am schusseligsten waren und am wenigsten in der Lage, ihr Anliegen zu formulieren.
Also hat sie ein Häuserbau- und Gartenprojekt vor Ort mit angeschoben. Das ist auch in einem Video dokumentiert. Dort sieht man Britta Steilmann Setzlinge einpflanzen und kann das peinlich finden oder einfach ziemlich nett.
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