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Kohl kommt, die PDS ist schon da

PDS und Grüne sind die stärksten politischen Kräfte in den Bezirken des künftigen Regierungsviertels. Im Osten bröckelt bereits die Anti-PDS-Koalition der übrigen Parteien  ■ Aus Berlin Christoph Seils

„Berlin wählt, Bonn sieht rot.“ Die Wahlversprechen der PDS könnten demnächst Wahrheit werden. Wenn sich der Kanzler in Kürze mit dem Bürgermeister des Bezirks Mitte zur Hauptstadtplanung trifft, könnte ihm rot vor Augen werden. Denn es wird immer wahrscheinlicher, daß zum ersten Mal nach der Wende die Spitzenposition in dem Bezirk von der PDS besetzt wird. Mit 42,5 Prozent der Wählerstimmen bildet sie die stärkste Fraktion, drei Stimmen in der Bezirksverordnetenversammlung fehlen ihr zur Mehrheit. Und die Anti-PDS-Koalition, die bislang im Bezirk herrschte, ist brüchig. Die Grünen wollen Bezirksbürgermeister Gerhard Keil nicht wiederwählen, weil dieser im Frühjahr ihre Baustadträtin entmachtete. Gleichzeitig schließen sie nicht aus, einem PDS-Kandidaten ins Amt zu verhelfen. Der Vorstandssprecher der Berliner Bündnisgrünen, Christian Ströbele, hat bereits erklärt, daß seine Partei sich in manche Bezirken vorstellen könne, den PDS-Kandidaten zu unterstützen.

In insgesamt sechs der elf Ostberliner Bezirke macht sich die PDS als mit Abstand stärkste Partei berechtigte Hoffnungen auf den Bürgermeistersessel. In den Bezirken Hellersdorf, Marzahn, Hohenschönhausen und Lichtenberg am östlichen Rand von Berlin zeichnet sich bereits ab, daß die PDS an die Spitze der Rathäuser treten wird. Berlins sozialdemokratischer Bausenator Nagel plädierte dafür, die PDS überall in die Verantwortung zu holen, wo sie in Ostberlin zur stärksten Partei geworden ist. Und selbst in der CDU gibt es Stimmen, die davor warnen, durch Allparteienallianzen die PDS ein weiteres Mal in die Märtyrerrolle zu drängen. Vor allem Finanzsenator Elmar Pieroth (CDU) warnt seine Partei davor, mit Anti- Socken-Kampagnen den Graben zwischen Ost und West zu vertiefen.

Auch wenn Helmut Kohl sich auf seinen Berliner Stammsitz zurückzieht, hat er keinen Grund zur ungetrübten Freunde. Im Bezirk Tiergarten, wo sein Kanzleramt gebaut wird, könnte demnächst ein grüner Bezirksbürgermeister das Sagen haben. Hier liegen die Bündnisgrünen in der Gunst der Wähler vor der SPD, mit der sie zusammen über 50 Prozent haben, und sie erheben natürlich den Anspruch auf das Amt des Bürgermeisters in einer grün-roten Koalition.

Die Innenstadt der Hauptstadt könnte eine vollkommen neue politische Farbkombination prägen: Im Osten Tiefrot, im Westen Grün-Rot. In den drei Westberliner Bezirken Kreuzberg, Schöneberg und Tiergarten können grüne Bürgermeister demnächst das Sagen haben. Gemeinsam haben Bündnisgrüne und PDS schließlich selbst in Ostberlins „Wiege der Revolution“, im Bezirk Prenzlauer Berg, die Mehrheit, um den Bürgermeister zu bestimmen.

Angesichts dieser Erfolge könnten die PDS-Genossen ein Wahlplakat in der Hauptstadt hängen lassen: „Der Kanzler kommt, wir sind schon da!“

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