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„Notbremse bringt keine Besserung“

■ Finanzsenator Pieroth lehnt vor dem Hauptausschuß eine Haushaltssperre ab, hält einzelne Maßnahmen aber für möglich / Die SPD will einen Stellenstopp

Die Verwirrung war komplett, als Finanzsenator Elmar Pieroth (CDU) gestern auf der Sondersitzung des Haushaltsausschusses die Etatmisere des Landes erläuterte. Beträgt die Deckungslücke nun 2,3 bis 2,7 Milliarden Mark, wie sie die bündnisgrüne Abgeordnete Michaele Schreyer nachgerechnet hatte? Oder lag Dieter Klein von der PDS mit 2,44 Milliarden beim Summenspiel goldrichtig? Nein, beteuerte Pieroth und beharrte auf seinen neuesten Zahlen: der Fehlbetrag für 1995 belaufe sich auf ingesamt 1,7 Milliarden Mark, davon allein 1,5 Milliarden durch geringere Steuereinnahmen. Das Echo auf eine Haushaltssperre, wie sie vor der von den Bündnisgrünen beantragten Sondersitzung unisono Schreyer und der Ausschußvorsitzende Klaus Franke (CDU) verlangt hatten, stieß gestern bei Pieroth auf Ablehnung. Gezielte Maßnahmen seien denkbar, zunächst wolle er aber die Haushaltsdaten vom Oktober abwarten.

Der nach dem Wahldebakel parteiintern in Bedrängnis geratene SPD-Fraktionchef Klaus Böger trat gestern die Flucht nach vorne an: Er forderte Pieroth auf, eine sofortige Haushaltssperre für alle Ausgaben und Verpflichtungen zu erlassen, die nicht auf gesetzlichen oder rechtlichen Verpflichtungen beruhten. Dies wurde von der CDU ebenso abgelehnt wie sein Vorschlag, einen generellen Stopp bei Stellenbesetzungen und Beförderungen auszusprechen, sofern hierfür noch keine verbindlichen Zusagen vorlägen. „Quasizusagen“, widersprach der CDU-Haushaltsexperte Reinhard Führer, dürften nicht auf dem Rücken der Beschäftigten ausgetragen werden.

In Anspielung auf neue Koalitionsgespräche bezeichnete Böger die künftigen Eckwerte eines Nachtragshaushalts als „Nagelprobe für mögliche oder nichtmögliche Konstellationen“. Er warnte Pieroth davor, landeseigenes Eigentum ohne Zustimmung des Parlaments zu verkaufen. Bevor man an den Verkauf des Tafelsilbers gehe, müßten „strukturelle Fragen“ geklärt werden.

Der CDU-Haushälter Volker Liepelt merkte selbstkritisch an, die Große Koalition habe in der Vergangenheit zu vielen Forderungen nachgegeben. Dies müsse aufhören, „Mut und Opfer aller Beteiligten“ seien gefragt.

Eine sofortige Notbremse, wie sie die SPD und die Oppositionsparteien PDS, Grüne und FDP verlangt hatten, würde kaum zu einer „fiskalischen Verbesserung“ führen. Für die Zukunft mahnte Liepelt eine eindeutige Prioritätensetzung an. Der Umfang der Investitionen müsse jedoch aus „wirtschaftlichen Gründen“ beibehalten werden. Außer bei der Polizei gebe es aber für die Union „keine Tabus“.

Konkrete Details lieferte die CDU-Fraktion jedoch ebensowenig wie Finanzsenator Pieroth. Dieser wiederholte seine sattsam bekannte Formel der vergangenen Tage: Im sozialen Bereich und bei der Zahl der öffentlich Bediensteten – zuletzt hatte er für die kommende Legislaturperiode den Abbau weiterer 25.000 Beschäftigter vorgeschlagen – müßten „die Standards“ abgesenkt werden. Severin Weiland

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