: Zukunft einer früheren „Hauptstadt“
Im ehemaligen Homeland Lebowa im Norden Südafrikas bezweifeln die Menschen, daß neue Kommunalverwaltungen, die am 1. November gewählt werden, ihre Lebensumstände ändern werden ■ Aus Lebowakgomo Kordula Doerfler
Durch die Straßen der Stadt pfeift ein glühendheißer Wind. Auf den verdorrten Grünflächen türmt sich der Müll. Nur Plastiktüten bleiben nicht liegen, die treibt der Wind zu Tausenden über das flache Land. Die Häuser liegen weit verstreut, dazwischen Steppe. Saftig grün sind nur das Cricket- Feld und der Fußballplatz. Vor dem Polizeihauptquartier gammeln ein paar Autowracks, gegenüber weiden Kühe. Lebowakgomo besteht eigentlich nur aus zwei Straßen, auf denen tagsüber kaum ein Mensch zu sehen ist. Lediglich im Einkaufszentrum herrscht Betriebsamkeit. Bilder einer ehemaligen „Hauptstadt“.
Wer Lebowakgomo auf einer Landkarte finden will, muß lange suchen. Im „alten Südafrika“ war es weißes Gebiet, und auch im „neuen Südafrika“ weisen nur sehr gute Karten den Ort aus. Die Hauptstadt des früheren Homelands Lebowa im Norden Südafrikas gibt es eigentlich nicht. Und das ist in gewisser Weise konsequent. Denn Lebowakgomo ist ein reines Kunstprodukt der Apartheid-Zeit, von der weißen Regierung geschaffen, um Schwarze in den Genuß der „Selbstverwaltung“ zu bringen. Ein paar Kilometer neben der vormaligen Township Lebowakgomo wurde in den siebziger Jahren eine „Hauptstadt“ errichtet – aus überdimensionierten Regierungsgebäuden und ein paar Wohnhäusern für Beamte. Eineinhalb Jahre nach den ersten freien Wahlen in Südafrika hat sich Lebowakgomo nicht verändert. Hinter doppelten Zäunen, die oben mit langen Stacheln bewehrt sind, liegen die alten Regierungsgebäude. Die ehemaligen Machthaber, Marionetten der südafrikanischen Regierung, hatten wohl allen Grund, sich zu verschanzen. Auch heute noch sitzen mehrere Verwaltungen in den roten Backsteinbauten. Die Zentralen jedoch sind in Pietersburg, der neuen Hauptstadt der Northern Province, etwa 60 Kilometer nordwestlich von Lebowakgomo.
Wie die Zukunft aussehen wird, weiß niemand so genau. Nur soviel ist klar: Fällt der öffentliche Dienst als Arbeitgeber weg, wird Lebowakgomo endgültig zur Geisterstadt. Denn Industrie gibt es so gut wie keine, und auf den erodierten Böden des ehemaligen Homelands läßt sich kaum noch Landwirtschaft betreiben. „Ich werde vermutlich nach Pretoria versetzt werden“, glaubt Gibson Mamabolo. Seit 20 Jahren arbeitet er im Justizministerium in der Personalabteilung. Durch das Fenster in seinem Büro sieht man rostende Stahlträger aus dem Beton ragen. Die ehrgeizigen Ausbaupläne der Homeland-Regierung blieben unvollendet. Wann er umziehen wird? Mamabolo zuckt mit den Schultern. „Wenn all diese Büros geschlossen werden, was bleibt dann hier?“
Auch der Chef der Verkehrspolizei, David Kgare, hat keine Ahnung, wie seine Zukunft aussehen wird. Beide Beamte leben, wie viele andere auch, gar nicht in Lebowakgomo, sondern sind Pendler aus weit enfernten Gebieten. Kgare hat läuten gehört, daß er mitsamt seiner Abteilung nach Pietersburg versetzt wird. Möglicherweise wird auf dem Regierungsgelände eine Universität gegründet? Und außerdem würden doch nach dem 1. November neue Räumlichkeiten für die Kommunalverwaltung gebraucht. Aber ob die soviel Platz braucht?
Am 1. November wird in Südafrika wieder gewählt. Zum ersten Mal in der Geschichte des Landes sollen demokratische Kommunalverwaltungen bestimmt werden, die die jetzigen Übergangsgremien ablösen werden. Das frühere Homeland Lebowa wird dann eine Verwaltungseinheit sein, vergleichbar einem deutschen Dorf – mit dem kleinen Unterschied, daß die Fläche mehrere hundert Quadratkilometer umfaßt. Neun Leute wird der neue Gemeinderat zählen, sechs davon direkt gewählt. Zusätzlich werden, wie in allen ländlichen Gebieten Südafrikas, die traditionellen Häuptlinge des jeweiligen Wahlkreises im Gemeinderat repräsentiert sein.
Von Wahlkampf ist in Lebowa wie in vielen anderen ländlichen Regionen kaum etwas zu spüren. Nur vereinzelt sieht man kleine Wahlplakate, auf denen der jeweilige Direktkandidat der Parteien um die Gunst der Wähler wirbt. Dabei ist es hier besonders wichtig, daß funktionierende Verwaltungen aufgebaut werden, denn nur sie können so lebensnotwendige Infrastrukturmaßnahmen wie Wasser- und Elektrizitätsversorgung vorantreiben. Immerhin, mehr als 80 Prozent der Wahlberechtigten in Lebowa haben sich in die Wahlregister eintragen lassen.
Derzeit wird Lebowakgomo von einem Übergangsrat verwaltet, der seinen Sitz im sogenannten Civic Centre hat. Vormittags um halb zwölf herrscht in den Büros gähnende Leere. Am Eingang hängen ein paar Anschläge – der jüngste datiert von Ende 1993. Relikte aus dem alten Südafrika. Damals machte sich die alte Homeland-Verwaltung aus dem Staub, die Angestellten im öffentlichen Dienst traten in einen wochenlangen Streik, weil sie nicht wußten, was aus ihnen werden sollte. Das gesamte öffentliche Leben kam bis nach den Wahlen zum Stillstand, es gab keine Müllabfuhr mehr, kein fließendes Wasser, keine medizinische Versorgung. Das zumindest hat sich seither geändert. Nur widerwillig gibt der einzige städtische Angestellte, der in dem Gebäude anzutreffen ist, Auskunft. „Doch, der Übergangsrat tagt hier gelegentlich“, sagt Matthew Pahaho. Wie oft, wisse er nicht genau. Und Wahlen? „Ja, die werden hier stattfinden.“ Wie viele Wähler es in dem Gebiet gibt, wie viele sich haben registrieren lassen, entlockt ihm nur ein gelangweiltes Schulterzucken. Das weiß nur Mr. Baloye, der Stadtverwalter, und der ist leider gerade nicht da.
Erst nach freundlichem Drängeln wird Matthew Pahaho etwas gesprächiger. Eineinhalb Jahre nachdem Nelson Mandela mit dem Versprechen antrat, die Lebensverhältnisse der Menschen zu verbessern, fühlt er sich betrogen. Nicht vom Präsidenten, aber von all den anderen. „Ich habe Mr. Mandela gewählt und nicht all diese anderen Leute“, beklagt er sich. „Die bereichern sich doch nur auf unsere Kosten und tun gar nichts.“ Deshalb hat er auch noch nicht entschieden, ob er überhaupt wählen gehen wird.
Ähnlich desillusioniert ist auch David Kgare. „Viele Leute hier auf dem Land sind nicht zufrieden, weil sich gar nichts geändert hat“, sagt der Polizist. Auch nach den Wahlen würde sich nichts ändern. „Wir warten auf Jobs, auf Wasser, auf Strom – und nichts passiert. Die Politiker versprechen das Blaue vom Himmel, nur um gewählt zu werden. Aber hinterher bleibt alles, wie es war.“ Trotzdem wird Kgare wählen gehen, denn was kann man sonst tun? „Es nutzt ja auch nichts, zu Hause zu sitzen, dann ändert sich erst recht nichts.“
Dabei geht es den Angestellten und Beamten noch gut. Über 90 Prozent der Fläche der Northern Province sind landwirtschaftlich geprägt, aber seit Anfang der achtziger Jahre herrscht hier Dürre. In vielen Gebieten gibt es überhaupt kein Wasser mehr, und in den ehemaligen Homelands wird immer mehr überweidetes Land zur Wüste. „Wasser ist unser größtes Problem“, sagt Charles Thaba. Der Mann lebt mit seinen Kindern im Dorf Thamahane, wenige Kilometer südlich von Lebowakgomo. Das Dorf verdient diesen Namen kaum, es ist nicht mehr als eine Ansammlung von heruntergekommenen Hütten, eines der typischen ländlichen Slums der Northern Province. Wasser gibt es in dem Dorf überhaupt keines und auch keinen Strom. Der Boden ist kahl, es wächst buchstäblich kein Grashalm mehr.
Wasser kostet Geld, und das hat so gut wie keiner hier. Nahezu das ganze Dorf ist arbeitslos und hungert. Nachmittags um drei Uhr, an einem normalen Werktag, versammelt sich eine Gruppe von Männern. Die meisten sind so betrunken, daß sie kaum noch klar artikulieren können. „Früher gab es ein Bohrloch hier, aber die Rohre sind kaputt“, sagt Charles Thaba. Dann habe die Regierung versprochen, das zu reparieren, aber nichts sei passiert. Daß es Wahlen geben wird, haben die Männer immerhin gehört und sich auch registrieren lassen. Wer da warum gewählt werden soll, ist ihnen allerdings ein Rätsel. Einen ihrer Direktkandidaten haben sie nie zu Gesicht bekommen, dabei stammen die alle aus ihrer Region.
„Die Wahl ist kein Endpunkt, sondern wir betrachten sie als Anfang auf einem langen Weg zu wirklich repräsentativen Strukturen“, sagt Ngoako Ramathlodi. Der 40jährige ist seit vergangenem Jahr Ministerpräsident der Provinz und sitzt in einem modernen Büro in Pietersburg. Ramathlodi verkörpert einen Typus von Politiker, der im ANC häufig anzutreffen ist: jung und gut ausgebildet. Gewandt spricht er von strategischer Planung für die Provinz, davon, daß die Regierung die Townships als mögliche Wachstumsprojekte betrachtet, in denen die Urbanisierung vorangetrieben werden soll, um das Elend auf dem Land zu mildern.
Auch Lebowakgomo ist für ihn ein solches Projekt. „Im Moment haben wir in Pietersburg noch keine Infrastruktur für eine Verwaltung“, sagt er. „Deshalb müssen wir die von Lebowakgomo nutzen. Auf die Dauer geht das aber nicht, weil wir sonst das Land nicht vereinen können.“ Verglichen mit anderen Provinzen muß seine Regierung mit besonders vielen Erblasten der weißen Machthaber fertig werden. Es gibt hier mehr Armut und Analphabetentum als in den anderen Provinzen Südafrikas, erzkonservative weiße Farmer und nicht minder konservative schwarze Häuptlinge müssen davon überzeugt werden, daß sie jetzt in einem neuen Gemeinwesen leben.
Für Lebowakgomo stellt Ngoako Ramathlodi sich vor, daß Teile der regionalen Verwaltungen dort bleiben, ein anderer Teil der Regierungsgebäude vielleicht in eine Technische Hochschule umgewandelt wird. „Wir wollen nicht überambitioniert sein“, lacht der Ministerpräsident. „Aber“, so hofft er, „in zehn bis 15 Jahren werden die größten Schwierigkeiten überwunden sein.“
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