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Schadstoffe im Internet

Die OECD diskutiert die Einrichtung von frei zugänglichen Schadstoffkatastern. Was in den USA längst etabliert ist, geht den deutschen Behörden und Unternehmen jedoch viel zu weit  ■ Von Ralph Ahrens

Gläserne Schornsteine, Abflußrohre und Deponien brauchen keine Illusion zu bleiben. Eine Expertenrunde der OECD diskutiert ab heute in Den Haag entsprechende Giftkataster, frei zugänglich für jede und jeden. In er Bundesrepublik fehlt jedoch Industrie und Verwaltung bisher der Mut, öffentlich zu machen, wo welcher Betrieb welche giftigen Stoffe ins Wasser einleitet, in die Luft pustet, verbrennt oder einlagert.

Schon seit vergangenem Jahr arbeitet die OECD an einer Vorlage, um Länder wie die BRD auf Trab zu bringen. Sie wird dabei von Fachleuten aus Verwaltung, Industrie und erstmals auch Umweltverbänden beraten. Anfang 1996 will der Club der Industrieländer das Ergebnis präsentieren.

Die US-Amerikaner waren die ersten. Ihr Giftkataster, das Toxic Release Inventory (TRI), besteht seit zehn Jahren. Jährlich veröffentlicht die US-Umweltagentur EPA die Angaben der Industrie über die 654 im TRI aufgelisteten, für Mensch oder Umwelt giftigen Stoffe und Stoffgruppen. Anders im Informations-Entwicklungsland Deutschland: Hier gibt das Umweltbundesamt in Berlin zwar Daten zur Umwelt bekannt, allerdings lediglich alle vier Jahre und anonymisiert.

Doch möglichst rasch Verursacher zu benennen ist gerade die Stärke von Registern wie dem TRI. „Lokale Entscheidungsträger nutzen die Daten, um Risiken zu identifizieren und um Reduktionspläne zu erarbeiten“, erklärt Susan Hazen von EPA. Die Agentur verwaltet die Daten der Industrie und verteilt sie kostenlos, gedruckt wie auch auf elektronischen Datenträgern. EPA überpüft die Angaben der Unternehmer nur in Stichproben. Doch drohen den Betrieben saftige Bußgelder, wenn sie keine oder falsche Angaben machen: bis zu 25.000 Dollar pro Chemikalie und versäumten Tag.

Auch Anwohner, Arbeiter und Umweltverbände nutzen die TRI- Daten. „Sie weisen auf Mißstände hin und unterbreiten Vorschläge, um die Situation zu verbessern“, so Hazen. Und seitdem Umweltschutz „in“ ist, gelten niedrige TRI-Werte den Unternehmern auch als Werbemaßnahme.

Anschaulich und verständlich aufbereitete Umweltdaten finden schnell ihre Nutzer. Das englisch-walisische Schadstoffregister der Umweltbehörde Ihrer Majestät in London beispielsweise ist nur schwer lesbar. Doch der Umweltverband Friends of the Earth gibt seit September die Daten verknüpft mit einem simplen geographischen Informationssystem im Internet unter der Adresse http:// www.foe.co.uk/cri an. Internet- Nutzer können am Bildschirm die Firmen anklicken und sich über deren Emissionen informeiren. Innerhalb der ersten vier Tage klingelten bereits 40.000 Neugierige die Adresse an.

Umweltdaten am Bildschirm für jedermann und jedefrau – in Deutschland derzeit reine Utopie. „Es fehlt nur der politische Wille“, klagt Angelika Horster vom BUND, „denn die technischen Voraussetzungen für ein Schadstoffregister sind vorhanden.“ So lassen sich heute Umweltämter in Nordrhein-Westfalen vom „Informationssystem Stoffe und Anlagen“ (ISA) unterstützen, um 1.500 störfallrelevante Anlagen und Emissionserklärungen von rund 10.000 Betrieben zu verwalten. Niemand will bisher jedoch die Daten den eigentlich Betroffenen, den Bürgern, zugänglich machen.

Langsam scheinen starre Fronten aufzuweichen. Noch vor zwei Jahren wehrte sich die chemische Industrie in Europa gegen jedwedes Schadstoffregister.

Inzwichen wäre sie bereit, immerhin eine Liste von den aus ihrer Sicht etwa 60 „wirklich relevanten“ Chemikalien zu akzeptieren. Wahrlich nichts im Vergleich zu den über 100.000 Stoffen, die sich in größeren Mengen im Umlauf befinden.

Mit gläsernen Schornsteinen und Rohren geben sich die Umwelverbände nicht zufrieden. Die Schadstoffregister, so fordern sie, sollten über den gesamten Lebensweg zumindest aller giften Stoffe informieren, also beispielsweise über den Transfer von Toluol in Farben und Lösemitteln oder von Quecksilber in Batterien und Thermometern in die Umwelt.

Wen wundert's: Die Umweltschützer konnten ihre Positionen auf den bisherigen OECD-Hearings gegenüber der Industrie und den Regierungen nicht durchsetzen. Unmögliches fordern sie dabei jedoch nicht. Den Weg der Chemikalien in die Anlagen und – in Form von Produktion und Emissionen – wieder heraus zu erfassen „bedeutet für Betriebe kaum Mehrarbeit“, betont Warren Muir vom Hampshire Research Institue in Alexandria, Virginia. „Sie sollten aus eigenem Interesse überblicken, wieviel an Chemikalien sie ein- und verkaufen, lagern, herstellen und verbrauchen.“

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