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Esoterik im „Nazilager“

■ Will Hamburgs Neonazi-Staranwalt Jürgen Rieger in Zukunft hinter schwedischen Gardinen leben? Von Thomas Koch und Andreas Speit

„Jürgen Rieger hat die Schnauze voll und will weg aus Deutschland.“ Die das sagt, muß es eigentlich wissen. Theda Ites, ehemalige Lebensgefährtin des Hamburger Staranwalts der Neonazi-Szene und Mutter von zweien seiner insgesamt vier Kinder, behauptet, daß der 49jährige Verteidiger „nach Schweden auswandern“ will. Spätestens seit dem Ende August auf offener Straße erfolgten Überfall auf seine Person (taz berichtete), habe Rieger „die Nase gestrichen voll“. Nun plane der Advokat, der schon Neo-Nazi Größen wie Michael Kühnen und Meinholf Schönborn verteidigte „sich von seiner Kanzlei zu trennen“.

Der Weg soll Rieger, der mehrfach wegen Körperverletzung, Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener und antisemitischer Äußerungen selbst als Angeklagter mehrfach vor Gericht stand, in Richtung Schweden führen. Dort will er sich angeblich „ganz auf bio dynamische Landwirtschaft konzentrieren“ (Ites). Dafür spricht nicht nur, daß Jürgen Rieger an der Hamburger Volkshochschule seit geraumer Zeit die schwedische Sprache büffelt. Bereits im April erwarb er im schwedischen Sveneby für über drei Millionen Mark einen schloßartigen Besitz.

Die AnwohnerInnen befürchten nun, daß der Neo-Nazi-Anwalt den 1750 erbauten Herrschaftssitz als Ausbildungslager für Rechtsradikale nutzen will. Sicher ist: Das „Nazilager“, wie der Stockholmer Expressen das 18 Zimmer-Anwesen nennt, wird auch als Veranstaltungsort für esoterische Gesundheitsseminare genutzt werden, für die in Hamburg um TeilnehmerInnen geworben wird.

So bietet Theda Ites zusammen mit der Heilpraktikerin Ulrike Spielvogel im Rieger-Anwesen zwei „Kurseminare“ zu den Themen Yoga und „Gewebeentsäuerung“ an. Ebenfalls als Seminarleiterin angekündigt: Die Buch-Autorin Barbara Simonsohn, eine der prominentesten Hamburger „Meisterinnen“ der esoterischen Heilkunst „Reiki“. Doch Simonsohn, ebenfalls mit Rieger persönlich bekannt („Ich teile nicht seine Ansichten, aber er ist ein rührender Familienvater“) sprang inzwischen ab.

Während auch Tagungsleiterin Spielvogel „natürlich bekannt ist, daß der Tagungsort Herrn Rieger gehört“ (Ites), bleibt den SeminarTeilnehmerInnen verborgen, in wessen Taschen ihre Seminargebühren von 1700 Mark zumindest zu Teilen fließen sollen. In der Veranstaltungs-Ankündigung, die in verschiedenen Hamburger Eso-Zentren und auch in der Volkshochschule auslag, ist nur von „einem schwedischen Seminarhotel“ die Rede. Von Rieger kein Wort.

Doch vorläufig ist Rieger noch in Hamburg aktiv: und das nicht nur als Anwalt und „Neonazi in legalem Kostüm“ (Daily Telegraph). seit mehr als zehn Jahren bekleidet er den Posten des zweiten Vorsitzenden des „Blankeneser Grundeigentümer Verein“. Der deutschtümelnde Vereinsvorsitzende Herman Hoffmeister („Man wird ja wohl noch sagen dürfen, daß wir germanische Vorfahren haben“) betont – auf Rieger angesprochen– daß „zur Demokratie das gesamte politische Spektrum“ gehöre. Die anderen vereinten Grundeigentümer haben offenbar ebenfalls keine Berührungsängste mit dem Neonazi-Anwalt: Sie bestätigten Rieger zuletzt Ende 1992 mit überwältigender Mehrheit in seinem Amt.

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