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Probleme auf dem Drogenstrich

■ Wenig Hilfe für Frauen, die der Beschaffungsprostitution nachgehen

Offiziell gilt der Drogenstrich seit seiner vom Senat beschlossenen Auflösung im November 92 als nicht mehr existent. Dementsprechend überschaubar ist das Hilfsangebot für die anschaffenden Frauen. Obwohl sich der Drogenstrich nur in das Viertel zwischen Humboldtstraße und Ziegenmarkt verlagerte, wurde der Drogenbus aus der Friesenstraße abgezogen, in die ehemaligen Räume des gesundheitsfördernden Nachtangebotes in der Schmidstraße 5 zog Ende 92 das EMP (Ergänzendes Methadonprogramm Frauen) ein.

Hier werden in einem geschlossenen Programm 40 Frauen mit Methadon substituiert. Durchschnittlich stehen sieben Frauen auf der Warteliste. Daneben gibt es zusätzlich etwa 20 Drogenprostituierte, die das Angebot bislang nicht angenommen haben, aber trotzdem Betreuung bräuchten. Sie finden keine Hilfe im EMP, wo die fünf Mitarbeiterinnen bei einem Betreuungsschlüssel von 1:15 ohnehin an ihre Grenzen stoßen.

Grundsatz des Programms ist die Niedrigschwelligkeit des Angebotes. Abgesehen von den Vorgaben Aufenthaltsort Bremen, Drogenabhängigkeit und dem Nachgehen der Beschaffungsprostitution müssen die Klientinnen keine weiteren Voraussetzungen erfüllen. Es soll vor allem die Frauen erreichen, die den Mut nicht haben, einen der 60 Ärzte aufzusuchen, die sich in Bremen zur Methadonabgabe bereit erklärten. Dazu kommen jene, die bereits mehrfach vergeblich bei Ärzten angeklopft haben, aber wegen mangelnder „Wartezimmertauglichkeit“ abgewiesen wurden.

Suchtbegleitung, Schadensminimierung und Überlebenssicherung sind die vorrangigen Ziele bei der EMP. Anders als in Hamburg oder Berlin sind die Frauen nicht gezwungen, die psychosoziale Begleitung in Anspruch zu nehmen, wenn sie substituiert werden. Doch fast alle Frauen nutzen diese Möglichkeit, wenn sie zwischen 10 und 12 Uhr ihre tägliche Ration Methadon in der Schmidstraße abholen. Bei den Gruppen- und Einzelgesprächen mit den drei Sozialarbeiterinnen kommen Probleme zutage, die immer wieder auf die dramatische Unterversorgung an Wohnraum und Arbeit verweisen:

Im März 93 lebten 75 Prozent der anschaffenden Frauen leben in völlig ungeklärten Wohnverhältnissen. Durch den Aufbau von drei Wohnprojekten hat sich diese Situation heute gebessert. Doch die Frauen finden auf dem offenen Wohnungsmarkt keine Bleibe und blockieren die somit die Projekte.

Desolat ist im allgemeinen auch der Gesundheitszustand der Klientinnen. Das Gros aller untersuchten Frauen leidet an einer Hepatitis A,B oder C. HIV-positiv sind 7 von 22 untersuchten Frauen, noch erschreckender aber, bilanziert die Ärztin Petra Gerwinn, ist die Tatsache, daß 10 von 37 Frauen unter Syphilis leiden: „Eine Krankheit, die mit einer Penicillin-Behandlung gestoppt wäre.“ Auch die oft über Jahr nicht behandelten Abszesse verweisen auf die Notwendigkeit, die medizinisch ambulante Betreuung für drogensüchtige Prostituierte zu verstärken.

Was jedoch vor allem dringend benötigt wird, sind neue Beratungszeiten, besonders nachts und am Wochenende. Jene vier Stunden, die der Kontaktladen in der Weberstraße zweimal wöchentlich nur für Frauen zur Verfügung stellt, reichen bei weitem nicht aus. Dies ergab eine Umfrage unter 28 Drogenprostituierten auf der Straße. Die Frauen im Alter zwischen 19 und 45 Jahren gehen hauptsächlich am Wochenende „ackern“. Viele von ihnen haben Gewalterfahrungen. Sie müssen, gezwungen durch ständige Polizeirazzien, mit ihren Freiern an entlegene Stellen fahren, wo sie der Willkür der Männer schutzlos augeliefert sind.

Ein Großteil der Frauen gab bei der Befragung an, daß sie der Prostitution nachgehen, um Schulden zu bezahlen. Dabei nannten viele auch die Bußgeldbescheide, die ihnen durch die Polizei ausgestellt worden waren. Der Bericht: „Die repressiven Maßnahmen der Polizei haben dazu geführt, daß Bußgeldbescheide zwischen 200 und 1.800 Mark die Regel sind. Das Anzeigeverhalten bezüglich Gewaltübergriffen von freiern ist lt. Aussagen der zuständigen Staatsanwaltschaft massiv zurückgegangen, weil die Frauen befürchten, wegen illegaler Prostitution selber belangt zu werden.“

Der Arbeitskreis Kommunale drogenpolitik, unter dessen Ägide das EMP läuft, fordert daher dringend, den Frauen einen ausgewiesenen Platz zur Verfügung zu stelen, an dem sie, analog zum utrechter Modell, in einem geschützten Rahmen der Prostitution nachgehen können. Dies sollte ein Platz sein, an dem sie gleichzeitig medizinisch ambulant versorgt werden können und eine Beratung erfahren. dah

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