■ Vorlesungskritik
: Linker Erfolg durch preußische Tugenden

Die Germanistik-Studenten an der Humboldt-Universität lassen sich, so scheint es, in zwei Gruppen unterscheiden. Die eine Hälfte von ihnen möchte später als Verlagslektor die Bücher anderer veröffentlichen, der andere Teil fühlt sich berufen, selbst Bücher zu schreiben. Das jedenfalls legten die Fragen nahe, die sie Klaus Wagenbach stellten, der auf Einladung des Fachbereichs die „Berufsperspektiven für Germanisten“ gleichsam „am lebenden Beispiel“ vorführen sollte. Der Gruppe derer, die den Beruf des Lektors anstreben, raubte er gleich zu Beginn alle Illusionen. Für die meisten Verlagsberufe sei ein Studium, es sei denn das der Betriebswirtschaft, schlicht „unbrauchbar“. Da die Anwesenden die Uni bereits frequentierten und damit allesamt den ersten Fehler schon begangen hatten, riet er ihnen, „höchstens zehn Semester zu studieren und gleich nach der Promotion was anderes zu machen“. Er erntete bloß Gelächter. „Ich verstehe Ihr Lachen nicht, finden Sie das etwa noch zu lang?“

Offenbar hatten die angehenden Germanisten nicht erwartet, daß ihnen der linke Verleger dieselben Lektionen erteilen würde wie konservative Bildungspolitiker. „Sofort mit der Praxis anfangen“, rundete er das Bild ab, „mindestens drei der europäischen Dialekte gut sprechen und möglichst viel Auslandserfahrung.“ Doch nicht nur für den beruflichen, sondern auch den verlegerischen Erfolg rühmte er die „preußischen Tugenden“ Präzision und Verläßlichkeit, die er zu den „Überlebenstaktiken“ des Verlags zählte.

Ein Raunen ging durchs Publikum, als der Träger des italienischen Staatspreises und FU-Honorarprofessor die HU-Chefin Marlis Dürkop als „Frau Präsidentin“ anredete. Trotz aller Wandlungen mochte er aber von seinem politischen Koordinatensystem nicht lassen und nutzte die Gelegenheit, für das vieldiskutierte und wenig gekaufte Buch „Rechts und links“ von Norberto Bobbio zu werben. „Lassen Sie sich von niemandem einreden, daß es diese Unterscheidung nicht mehr gibt.“ Kein Wunder, daß Wagenbach es zu seinen Lebensweisheiten rechnete, „soweit wie möglich Modisches zu vermeiden“.

Dabei ist der Wagenbach-Verlag in den dreißig Jahren seines Bestehens mit den jeweiligen Moden nicht schlecht gefahren. Zwar war die Idee, mit dem Verkaufserlös der väterlichen Wiese im Taunus einen gesamtdeutschen Verlag ins Leben zu rufen, alsbald an der deutsch-deutschen Realität der sechziger Jahre – „die Mauer war gerade frisch verputzt“ – gescheitert. Doch glücklicherweise trat im richtigen Moment die Studentenbewegung auf den Plan. Als später die Achtundsechziger auf dem Weg in die Institutionen aufhörten zu lesen und statt dessen in die Toskana fuhren, kam mit Pasolinis „Freibeuterschriften“ die „italienische Wende“.

Einen klaren Rat hielt Wagenbach auch für die zweite Gruppe von Studenten bereit. „Indem er gute Texte schreibt“, entgegnete er auf die Frage, wie ein Autor einen Verleger finden könne. Auch diese harschen Worte werden ihn wahrscheinlich nicht davor bewahren können, nach dem Abend im überfüllten Senatssaal der Humboldt-Uni mit Bergen an Manuskripten und Bewerbungen überschwemmt zu werden. In derselben Ringvorlesung wird demnächst taz-Redakteurin Anita Kugler referieren. Auch für den Beruf des Journalisten können wir nur empfehlen, gute Texte zu schreiben und sich beizeiten in den preußischen Tugenden zu üben. Ralph Bollmann