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Eiserne Faust trifft Muslimbrüder

Kurz vor Ägyptens Parlamentswahlen verurteilt ein Militärgericht 54 Muslimbrüder zu Zwangsarbeit und schließt die Büros der Gruppe  ■ Aus Kairo Karim El-Gawhary

Ägyptens Regierung geht auf harten Konfrontationskurs zu den Muslimbrüdern. Eine knappe Woche vor den Parlamentswahlen hat gestern der oberste Militärgerichtshof in Kairo 54 Muslimbrüder zu Haftstrafen mit Zwangsarbeit zwischen drei und fünf Jahren verurteilt. Der Richter, ein Oberst des ägyptischen Militärs, ordnete außerdem an, die Büros der Muslimbruderschaft, die an den Wahlen am 29. November teilnehmen will, zu schließen. Geld und Akten sollen beschlagnahmt werden. De facto bildet das den Versuch, die gemäßigt islamistische Organisation aufzulösen.

Die 1928 gegründete Muslimbruderschaft soll in Ägypten bis zu einer Million Mitglieder haben. Zu den Wahlen hat sie 150 Einzelkandidaten aufgestellt. 28 weitere Mitglieder der Organisation, die sich in einem zweiten Prozeß vor einem Militärgericht in einer Kaserne in der Wüste 30 Kilometer im Osten Kairos verantworten mußten, wurden gestern freigesprochen.

Der bekannteste der gestern Verurteilten ist der Vizepräsident des ägyptischen Ärzteverbandes, Essam Erian. Zusammen mit vier anderen Angeklagten wurde er zu fünf Jahren Haft mit Zwangsarbeit verurteilt. Weitere 49 erhielten jeweils drei Jahre Zuchthaus. Sie alle wurden schuldig gesprochen, eine geheime Gruppierung gegründet zu haben, die verfassungswidrige Ziele verfolge. „Es ist ein unfaßbares Urteil, zumal die Beweislage solche harten Strafen in keinster Weise rechtfertigt“, reagierte Ahmad Seif Islam, einer der Prozeßbeobachter auf die Entscheidung. Als „Gipfel der Ungerechtigkeit“ bezeichnete der ehemalige Sprecher des Verteidigungskomitees das Urteil.

Vor zwei Wochen hatte sich das 66köpfige Verteidigungskomitee aus dem Militärverfahren zurückgezogen. Damit protestierten die Anwälte gegen das ihrer Meinung nach nicht rechtsstaatliche Verfahren. Besonders umstritten war die Frage, ob Zivilisten überhaupt vor ein Militärgericht gestellt werden dürfen. Die Überstellung der Muslimbrüder vor ein Militärgericht hatte der ägyptische Präsident Husni Mubarak persönlich verfügt. Außerdem ignorierte das Gericht fast alle Anträge der Verteidigung, die noch Wochen nach dem Beginn des Verfahrens nicht alle Beweismittel zu Gesicht bekommen hatte.

Selbst die anschließend vom Gericht bestimmten Pflichtverteidiger stellten als erstes den Antrag, von dem Verfahren freigestellt zu werden. Das Gericht lehnte den Antrag ab und führte das Verfahren zu Ende.

Ägyptische Menschenrechtsorganisationen warnen davor, daß die Regierung mit der Überstellung von Zivilisten an Militärgerichte das relativ unabhängige zivile Gerichtssystem Ägyptens aushebelt. In den letzten drei Jahren wurden in 19 Fällen insgesamt 483 Zivilisten den Militärgerichten übergeben. Die zivilen Gerichte hatten sich bereits mehrmals als unsichere Kandidaten für die Regierung in Kairo erwiesen. Des öfteren hatten zivile Richter in den letzten Jahren Entscheidungen gegen die Regierung und deren Sicherheitsapparat gefällt. In einem Fall hatte ein Richter sämtliche Angeklagten freigesprochen, weil deren Geständnisse, an einer Operation der militanten Islamisten teilgenommen zu haben, durch Folter erpreßt worden waren.

Die gestern Verurteilten haben keine Möglichkeit der Berufung. Das Urteil muß allerdings noch vom ägyptischen Verteidigungsminister bestätigt werden. Auch die Rechtsstaatlichkeit des Verfahrens wird noch für längere Zeit andere ägyptische Gerichte beschäftigen. Das oberste Verwaltungsgericht hatte eine Entscheidung auf Antrag der Anwälte der Muslimbrüder, ob der Präsident das Recht hatte, deren zivile Mandanten einem Militärgericht zu überstellen, an das Verfassungsgericht weitergeleitet.

Die Entscheidung über die Rechtsstaatlichkeit des Verfahrens wird allerdings frühestens in zwei Jahren erwartet.

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