"Ich gehe nicht in Sack und Asche"

■ Ex-Spionagechef Markus Wolf sprach bei den "Berliner Lektionen" über seine Kindheit zwischen Berlin und Moskau. Die angekündigten Proteste von DDR-Bürgerrechtlern störten die Veranstaltung kaum

Es flogen keine Eier, auch keine Tomaten, und selbst der Tumult nach seinem Vortrag hielt sich in Grenzen: Markus Wolf, Ex-Spionagechef der DDR und gestern vormittag auf Einladung der Berliner Festwochen und des Bertelsmann-Konzerns zu Gast in den „Berliner Lektionen“, konnte seinen gut einstündigen Vortrag unbehelligt und ungestört zu Ende bringen. Wolf war eingeladen, im Renaissance-Theater über seine Kindheit zwischen Moskau und Berlin zu sprechen, über das Schicksal seiner Familie – und eben nicht über seine Tätigkeit als Leiter der Hauptverwaltung „Aufklärung“ im Ministerium für Staatssicherheit der DDR.

Dagegen hatten seit Wochen Opferverbände, Bürgerrechtsgruppen und Schriftsteller protestiert: „Wir lassen uns von kommunistischen Zuchtherren keine Lektionen mehr erteilen“, sagte etwa der Schriftsteller Siegmar Faust. Auch Jürgen Fuchs, Herta Müller und Sarah Kirsch hatten sich empört dagegen gewandt, Markus Wolf ein Forum zu bieten. Auf diese Äußerungen ging Bertelsmann-Vorstand Manfred Lahnstein in seiner Eröffnungsansprache zwar kurz ein, betonte aber, es gehe nicht, einen Gast auf öffentlichen Druck hin wieder auszuladen. „Die Berliner Lektionen sind keine politische Veranstaltung – und sie sind auch kein Tribunal“, sagte der Ex-Finanzminister vor rund 600 Zuhörern.

Markus Wolfs Vortrag „Väter und Söhne. Lebensläufe zwischen Moskau und Berlin“ bot allerdings auch wenig Anlaß zum Widerspruch. Wolf erzählte von seiner Kindheit als Sohn des jüdischen Arztes und Schriftstellers Friedrich Wolf, von der Emigration der Familie nach Moskau, dem Bruch des Vaters mit dem Kommunismus, der Rückkehr nach Berlin 1945 – und von den Jahren 1989 bis 1995. „Die in der DDR gelebt und Verantwortung getragen haben, werden sich mit Schuld, Fehlern und Irrtümern auseinandersetzen müssen, haben aber keinen Grund, in Sack und Asche zu gehen, nur weil sie eine andere Biographie gelebt haben als die Menschen in den alten Bundesländern“, sagte Markus Wolf.

Die anschließende Diskussion mit dem Publikum leitete der Journalist Erich Böhme. Der Einwurf aus dem Publikum, man liefere hier eine „feuilletonistisch-intellektuelle Verharmlosung eines verbrecherischen Systems“, blieb unbeachtet, auf vereinzelte Zwischenrufe wie „einzigartige Heuchelei“ reagierte niemand. Moralische Fragen, Gewissensfragen an den Spionagechef überhörte Wolf geflissentlich, blieb stets ruhig und gefaßt, wich allen Fragen nach seiner persönlichen Verantwortung umschweifig aus.

Schließlich faßte Erich Böhme die Zwischenrufe zu einer Frage zusammen: Wieso ging Wolf 1945 erst in den diplomatischen Dienst und baute danach den Nachrichtendienst der DDR auf? „Ich sah darin eine große Ehre, eine Verpflichtung, zum Schutz unseres Landes etwas zu tun. Und ich sah darin auch eine antifaschistische Aufgabe“, antwortete Wolf. Auf die Frage, warum er stets von der „Siegerjustiz der BRD“ rede, sagte Wolf, die DDR-Vergangenheit mit juristischen Mitteln aufzuarbeiten, halte er für wenig sinnvoll. „Der Versuch, die Geschichte der DDR zu kriminalisieren, kann kein echter Beitrag zur Einigung sein.“ Margot Weber