: Geschichtsstunde nach Art der PDS
Auf einer politisch-historischen Konferenz versucht die PDS sich ihrer inzwischen sechsjährigen Geschichte zu stellen. Führende PDS-Politiker bekräftigen den Bruch mit dem Stalinismus ■ Aus Berlin Christoph Seils
Unter dem Titel „Fünf Jahre PDS in der Bundesrepublik Deutschland“ hatten die Demokratischen Sozialisten am Wochenende in Berlin zu einer „historisch-politischen Konferenz“ geladen. Ihren „Bruch mit den autoritären Strukturen in der SED“ wollte die PDS so unterstreichen und den Prozeß der Erneuerung nachzeichnen, den die PDS im vereinten Deutschland durchlaufen habe.
Erstmals, so betonte die stellvertretende Parteivorsitzende Sylvia-Yvonne Kaufmann, befasse sich die PDS auf einem Kongreß mit ihrer eigenen Geschichte. Rüsten wolle sich die Partei damit für die Auseinandersetzung, in der man tagtäglich mit der eigenen Geschichte konfrontiert sei. Ihre politischen Gegner forderte sie auf, die PDS endlich als das zu akzeptieren, was sie sei (oder besser gerne wäre), „eine zukunftsorientierte sozialistische Partei“.
Am Abend hat die PDS eine Befragung von Zeitzeugen auf die Tagesordnung gesetzt, und Hans Modrow ist engagiert bei der Sache. Bis ins Detail kann er noch die Sprachlosigkeit im Zentralkomitee der SED schildern, als Erich Honecker am 18. Oktober 1989 zum Rücktritt genötigt wird. Die Namen von SED-Kadern, die in dieser Zeit in Scharen zurücktreten, sprudeln nur so aus ihm heraus. Selbst bei der Uhrzeit bestimmter Ereignisse legt er sich fest, als sei es erst ein paar Tage her. Es gelingt ihm allerdings kein einziges Mal, sich nur für Minuten neben sich zu stellen und die Ereignisse im Herbst 1989 mit kritischem historischem Abstand zu würdigen. Auch den andern „Zeitzeugen“, wie Markus Wolf oder Gregor Gysi, mit denen die PDS selbstkritisch an den Übergang der SED zur PDS erinnern will, gelingt es nicht, zur historischen Aufklärung über die Wende in der SED beizutragen. Ein paar Anekdötchen über Telefongespräche und zugereichte Zettelchen werden erzählt – das war's. Niemandem gelingt es, aus der eigenen Akteursrolle herauszutreten. Anstelle einer historischen Aufarbeitung erlebten die fast 500 Besucher eine rührende Geschichtstunde, bei der Lutz Bertram den ulkenden Moderator abgab.
Die Emotionen vergangener Konferenzen und Parteitage, so wurde am Wochenende deutlich, sind bei der PDS allerdings einer gewissen Abgeklärtheit gewichen. Am Anfang der PDS im Herbst 1989 stand ein „antistalinistischer Grundkonsens“, versuchte der Vorsitzende der PDS-Grundsatzkommission, André Brie, den Genossen nachzuweisen. Und der Bundestagsabgeordnete Uwe- Jens Heuer unternahm einmal mehr den Versuch, die DDR als stalinistischen Staat zu denunzieren. Den Wechsel brandmarkte er als Kniefall vor den neuen Machthabern. Doch eine Diskussion über solche Widersprüche ließ sich auf der PDS-Konferenz kaum noch führen.
Dennoch, „der Erneuerungsprozeß der PDS ist unumkehrbar“, betont Sylvia-Yvonne Kaufmann. Und André Brie fügte hinzu, ein Zurück gäbe es nicht, denn dies würde das Ende der PDS bedeuten. SPD und Grüne forderte Brie auf, mit der PDS in einen kritischen Dialog zu treten. Erste Vorbereitungen will die PDS selbst treffen. So will der Bundesvorstand auf einer Klausurtagung am 4. Dezember über das Verhältnis der Partei zur SPD beraten. Das kündigte zumindest ihr Vorsitzender Lothar Bisky gestern auf einem Landesparteitag der sächsischen PDS in Hoyerswerda an.
Scheinbar ganz nebenbei erzählt dort Gregor Gysi in ergrauter Runde, wie er beinahe zufällig plötzlich an der Spitze der SED- PDS stand. Und dann schwingt er sich zu der Erklärung auf, wie richtig es doch gewesen sei, die SED nicht aufzulösen, sondern den schwierigen Weg der Erneuerung zu gehen. Ihm widersprechen mochte niemand so recht. Auch wenn viele derjenigen, die damals die Auflösung der SED gefordert hatten, nun der Geschichtsstunde ihres Gurus lauschten.
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