: Flieger für Demokratie
■ Alewiten aus Deutschland stellen Kandidaten für die türkischen Wahlen
Die Friedensbewegung formiert sich neu – diesmal in der Türkei. Die Alewiten haben erstmalig in der Geschichte der Türkei beschlossen, bei den kommenden Wahlen keine der linken Parteien zu unterstützen; sie gründeten am letzten Wochenende die „Demokratische Friedensbewegung“. Ihre Ziele: mehr Demokratie, Menschenrechte und ein friedliches Zusammenleben verschiedener Religionen und Ethnien. Diese Initiative ging vor allem von den über 100 Alewitenvereinen in Deutschland aus. Was den starken Einfluß der deutschen Alewiten auf die Entwicklungen in der Türkei zeigt. Eine 1.800 Köpfe starke Delegation flog am letzten Samstag mit 20 gecharterten Flugzeugen in die Türkei, um dort an der Gründungsversammlung der Wahlinitiative teilzunehmen. Auch aus Köln werden KandidatInnen zu den am 24. Dezember stattfindenden Wahlen zur Nationalversammlung aufgestellt. Die Pogrome im ostanatolischen Sivas haben sie gelehrt: Vertreten müssen sie sich selbst.
Die Stimmen der fast 20 Millionen starken alewitischen Gemeinde in der Türkei sind vor den Wahlen begehrter denn je. Beinahe wäre die alewitische Gemeinde selbst gespalten worden. Ministerpräsidentin Tansu Çiller machte ihr kürzlich ein verlockendes Angebot: Erstmalig in der türkischen Geschichte sollte den Alewiten vom Regierungsbudget ein größerer Betrag zur Verfügung gestellt werden – fehlende Gebetshäuser und Versammlungsräume, Armenküchen und Schulen sollten von diesem Geld gebaut werden. Während einige Führungspersonen der Gemeinde wie Professor Izzettin Dogan das Regierungsangebot als eine „De-facto-Anerkennung der Alewiten“ begrüßten und zur Unterstützung der Çiller-Offensive aufriefen, lehnten die meisten Vereine das Angebot als unzureichend ab. Gefordert werden vor allem die Auflösung des „Amtes für Religiöse Angelegenheiten“, das fest in sunnitischer Hand ist und die Alewiten nicht repräsentiert, sowie die offizielle Verurteilung der diskriminierenden Maßnahmen gegen die alewitische Kultur.
Die Gründung der alewitischen Wahlinitiative könnte sich jedoch als Eigentor entpuppen: Den ohnehin geschwächten linken und sozialdemokratischen Parteien in der Türkei könnte damit ein großer Stimmenanteil verlorengehen – Alewiten gelten traditionell als Wähler der Linken. Das wiederum käme der islamistischen „Wohlfahrtspartei“ zugute, der alle Meinungsforscher am 24. Dezember einen großen Wahlsieg prophezeien. Die Alewiten sehen in den sunnitisch orientierten Islamisten die größte Gefahr für ein friedliches Zusammenleben in der multiethnischen und -religiösen türkischen Gesellschaft. Die Devise ihrer Wahlinitiative lautet: „Wie wir auch mit dem Vornamen heißen – ob wir Türken oder Kurden, Alewiten oder Sunniten sind, wir haben nur einen einzigen Nachnamen: die Türkei.“ Dilek Zaptçioglu
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