Klagt Den Haag Milošević an?

■ Ein Abgeordneter aus Serbien will dem UN-Tribunal Beweise für Kriegsverbrechen des Präsidenten vorlegen

Genf/Belgrad (taz/dpa/AFP) – Dem serbischen Präsidenten Slobodan Milošević ist erstmals auch von serbischer Seite die Beteiligung an Kriegsverbrechen vorgeworfen worden. Damit wurden die Bemühungen der USA und der anderen vier Staaten der Kontaktgruppe, ihren „wichtigsten Partner“ im Friedensprozeß vor einer Anklage durch das Internationale Kriegsverbrechertribunal zu bewahren, erheblich erschwert.

In einem Interview mit der unabhängigen Belgrader Zeitung Naša Borba erklärte der Freischärlerbefehlshaber und Parlamentarier der extrem nationalistischen Radikalen Partei Branislav Vakić, Milošević habe Kriegsverbrechen in Bosnien und Kroatien angeordnet. „Ich besitze unwiderlegbare Beweise für Kriegsverbrechen und Bereicherung, begangen von den serbischen Behörden mit Milošević an der Spitze“, erklärte Vakić und kündigte an, er wolle vor dem Tribunal in Den Haag gegen Milošević aussagen. Die Beschuldigungen fallen zusammen mit dem Bemühen des südserbischen Bezirksverbandes Niš der Sozialistischen Partei von Milošević, den Präsidenten nach dem Abkommen von Dayton für den Friedensnobelpreis zu nominieren.

Laut Vakić hat Milošević in Befehlen an seinen Innenminister Zoran Sokolović sowie den hohen Geheimdienstfunktionär Frank Simatović-Frenki die Bewaffnung der Tschetnik-Freischärler und ihren Einsatz in Bosnien und Kroatien angeordnet. Unter anderem will Vakić Beweise für die Ermordung muslimischer Zivilisten in den ostbosnischen Städten Srebrenica, Bratunac, Zvornik und Vlasenica durch Einheiten der serbischen Sonderpolizei im Februar und April 1993 gesammelt haben. Außerdem verfügt er angeblich über Belege für die Beteiligung von Einheiten der (damals noch so bezeichneten) jugoslawischen Volksarmee an Plünderungen im ostkroatischen Vukovar nach der Eroberung der Stadt im November 1992.

Dem Tribunal in Den Haag liegt bereits eine Fülle von Hinweisen und Beweisen vor, durch die Milošević, Mitglieder seiner Regierung und die Armeeführung in Belgrad belastet werden. Aussagen, die Milošević belasten, finden sich auch in der BBC-Dokumentation „Der Tod Jugoslawiens“, die das ZDF derzeit unter dem Titel „Der Bruderkrieg“ ausstrahlt.

Im Falle der Eroberung von Srebrenica wurden gestern neue Vorwürfe gegen die dort stationierten niederländischen Blauhelme erhoben. Danach soll sich das UN- Bataillon während der Eroberung der Enklave im Juli geweigert haben, schwerverletzte Muslime zu behandeln. Das Verteidigungsministerium in Den Haag wies die Beschuldigungen zurück.

Unterdessen ist die Forderung des bosnischen Serbenführers Radovan Karadžić nach Neuverhandlungen des Dayton-Abkommens auf Ablehnung gestoßen. Nach den USA schloß auch der Außenminister von Restjugoslawien, Milan Milutinović, neue Gespräche über einzelne Dokumente aus. Das Abkommen werde weder „überarbeitet noch ergänzt oder verändert“, sagte er. azu Seite 10