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Elvis muß, Heino kann

■ Die Schatzkammer des Pop: Das Bremer „Klaus-Kuhnke-Archiv für Populäre Musik“ bewahrt seit 20 Jahren den Schall und Rauch der Popkultur – von den Sex Pistols bis zur Kelly Family V

on der Last der Geschichte hat Peter Schulze eine handfeste Vorstellung. Die geht so: Zwei passionierte Plattensammler wohnen gemeinsam im 1. Stock eines typischen Bremer Altbaus; im 2. Stock wohnt ihre Plattensammlung. Die Sammlung wächst. Das Haus wird nicht jünger. Hält die Statik? Biegt sich die Decke nicht schon durch? Bröckelte neulich Putz in die Wohnstube, als Schulze die neue George-Duke-LP vorsichtig im Archiv deponierte? „Das wäre eine prima Bild-Schlagzeile gewesen: Musikfreund von Plattensamm-lung erschlagen.“ Heute nimmt Schulze die alte Last leicht. Der „ständige Druck im Kopf“ ist weg, seit die Plattenberge umgezogen sind – ins Kellergeschoß der Bremer Musikhochschule. Keine Hohlräume drunter! Schulze strahlt.

Für manche Leute, z.B. die Packer des Umzugsunternehmens, sind es 25 Tonnen Platten und Bücher – für Schulze ist es das wahrscheinlich größte Poparchiv Europas. Vor 20 Jahren von drei Musik-journalisten gegründet, steht es seit April 1991 im Keller der Hochschule der Fachwelt zur Verfügung. Alles ist hier, was nur irgend der Popularmusik zugeschlagen werden kann. Buchstabe „D“: Dave Dudleys tränenreiches Countrygesülze trifft auf die Dubliners, wie sie „Live at Montreux“ schrammeln; in friedlicher Nachbarschaft steht Jazz-Basser George Duke im Regal und zupft seinen etwas altmodischen Funk-Baß.

Was sie verbindet, ist ihre Unberechenbarkeit. All das, was von der „traditionellen Musikwissenschaft“ verschmäht wird, findet eine Heimstatt im Bremer Archiv, sagt Schulze. Weitere Kategorien interessieren ihn nicht. Denn was heißt schon z.B. Jazz? Fragt der Jazzexperte. Gehört Catherina Valente in die Jazzschublade, weil sie gelegentlich ein bißchen swingte? Und Satchmos „Hello Dolly“, ursprünglich eine Musicalnummer? Oder die teutonische „Dolly“-Version von James Last?

Eben. Deswegen nahmen Schulze, Miller und Kuhnke, die Gründerväter des Archivs, auch alles mit, was sie in die Finger bekamen. Marschmusik und „Love Me Tender“, James Brown und James Last. Auf daß wißbegierige Popforscher hier alles finden mögen. Ins Präsenzarchiv kommen Lehrer, weil sie ja nun doch auch mal „Tekkno durchnehmen“ müssen und sich nicht vor den lieben Kleinen blamieren wollen. Es kommen Jazzdozenten und Rockschreiber. Angehende Saxofonistinnen schauen herein und fragen: Gab es ein Leben vor HipHop? Wie klang schwarze Musik in den 70ern? Wer blies das schärfste Horn, wer war der deffste Drummer?

Nicht so sehr hereinschauen sollen die Sammler, die Trophäenjäger. Auf „Leute, die sich mal eben einen halben Meter Elvis kopieren wollen“, kann Archivleiter Ulrich Duve verzichten. Nicht zu privaten oder kommerziellen Zwecken darf hier mitgeschnitten werden, das kann man gar nicht oft genug sagen. Da sei die GEMA vor. Und der Geist des Archivs.

Es ist ja ohnedies genug zu tun. Duve und seine ein bis zwei ABM-Kräfte müssen z.B. regelmäßig 40 Musikblätter sichten. Erwähnt der „Musik-expreß“ die neue Platte von „Chumbawumba“? Muß sie evtl. angeschafft werden? Reicht der Etat? Wer will schon „Chumbawumba“ hören? Und: Wie klingt das eigentlich?

Ja: Alles kennen auch die Kenner vom Kuhnke-Archiv nicht. Wo jeder Hobbymusiker dank Homerecording gleich zum Produzenten wird, wo die kleinen Indie-Labels ihre Obskuritäten en masse und mail-order auf den Markt werfen – da „wird es schon immer schwieriger, die Übersicht zu behalten.“

Duve selbst hört gern Weltmusik. Je entlegener der Erdenwinkel, je frischer die Klänge, umso besser. Aber auch Tekkno muß sein. Von Berufs wegen. Kelly Family? „Haben wir auch.“ Alles? „Jede Platte muß es nicht sein, aber zum Querschnitt gehören sie dazu.“ Beatles? „Komplett – das muß schon sein.“ Ebenso die Stones und andere Größen. Heino ...? Kein Problem. „Hier, eine Rarität.“ Duve kniet vor einem überfüllten Regal und kramt eine Heino-Single im schwarz-rot-goldenen Cover hervor. „Das Deutschlandlied. Mit allen drei Strophen.“ Baujahr: 1978. Daran erinnere sich die EMI sicher nicht so gern. Aber im Poparchiv wartet noch manche Überraschung auf die Musikwelt.

Und es werden immer mehr. 1500 Titel pro Jahr wachsen dem Plattenkeller zu. Aber der Boden hält, die Regale sind stabil. Und die Gewichtszunahme ist auch nicht mehr gar so beängstigend: „CDs“, seufzt der Vinyl-Liebhaber, „sind ja immerhin leichter.“ Thomas Wolff

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