piwik no script img

Vorschlag

■ „Lederfresse“ von Tim Schaffrick am bat: MTV für die Bühne

Dummchen und Kettensägen-Fetischist Foto: Thomas Aurin

Tim Schaffrick studiert Regie an der Ernst-Busch-Schauspielschule und macht Musik. In seiner neuesten Inszenierung sitzt er als Musiker auf der Bühne. Eine Pop-Puppe in Pink-Lila, eine Phantasie-Musicbox. Daneben flimmert ein Fernsehgerät, über unseren Köpfen hängen die Videoleinwand sowie zwei Dosen Bier an rosa Fallschirmen. Rock 'n' Roll, Yeah, Schubidu und Juchheisassa. Das Bühnenstück bringt das Kunststück fertig, dem Zeitgeist auf den Fersen zu folgen, und paart Countrysongs mit Softschnulze und Schuhplattler, während die Rezeptionsgewohnheiten des Publikums mit Dreifachverschiebungen gefoppt werden. Video/TV, Leinwand und Real-Schauspiel kämpfen um den Vorrang. Mal liegt die Leinwand vorne, dann holt der Schauspieler auf, und gerade als das Video über die Zielgerade preschen will, siegt das Schwarzbild (die Zuschauer hecheln derweil abgeschlagen hinterher).

Das ist interdisziplinär, ein bißchen modisch (siehe Bühne und Kostüme) und vor allem multimedial: MTV für die Bühne. Schaffrick weiß, daß das nicht unbedingt den Geschmack der Ernst-Busch-Dozenten trifft, deshalb holt er Ernst Busch persönlich mit dem Lied vom Glück aus der TV-Kiste und läßt die Schauspieler doppelzüngig sprechen: „Das wird ihnen nicht gefallen...“ Solche Seitenhiebe bereichern das Bühnen-MTV- Splatter-Spektakel um das Drama der Kettensäge, und das ist gut so. Kaum zwei Wochen ist es her, da wurde „Lederfresse“ von Helmut Krausser im Freien Schauspiel aufgeführt: ein Heimchen-am-Psychoeinfühlherd-Spiel, dem Text ergeben, tapfer in der Schauspielleistung und grundbieder in der Interpretation.

Hier nun agiert die Freiheit. Nichts am streckenweise recht öden Massaker-Text wird ernst genommen. Andrej Kaminsky als tillender Kettensägen-Fetischist besticht schließlich mit seiner rüden Anti-Sprechtext-Nummer. Auch Barbara Philipp, vordergründig als Girlie-Dummchen fast in Marionettenart ausgestellt, beweist Tiefe nicht nur mittels phänomenaler Stimmlagenübungen. An ihrer Figur gelang Schaffrick ein Coup: Er schreibt ihr, in freier Interpretation, masochistische Träume zu und löst so intelligent auf, warum sie ihrem Spinner-Freund in den Kettensägen- Wahn folgt. Petra Brändle

„Die Lederfresse“, heute, morgen sowie So., 10.12., jeweils 19.30 Uhr, bat Studiotheater, Belforter Straße 15, Prenzlauer Berg

40.000 mal Danke!

40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen