Kinder sind vor Elternkonflikten zu schützen

■ betr.: „Nicht ohne meinen Vater“, taz vom 30. 11. 95

Es ist schon notwendig, den von Justizministerin Leutheusser- Schnarrenberger vorgelegten Gesetzentwurf zum Kindschaftsrecht etwas genauer zu betrachten. Ansonsten wird nicht deutlich, welche Tragweite die vorgesehenen Regelungen zum nachehelichen Sorgerecht überhaupt haben.

1.Vorgesehen ist die Aufhebung des jetzt geltenden Zwangsverbundes. Dies führt dazu, daß das in der Ehe gegebene gemeinsame Sorgerecht nach einer Scheidung automatisch fortexistiert. Sorgerechtsentscheidungen soll das Gericht nur noch bei Vorliegen eines Antrages auf alleiniges Sorgerecht treffen. Eltern, die sich scheiden lassen, müssen nicht – wie es notwendig wäre – den Nachweis erbringen, daß sie trotz des Scheiterns ihrer Ehe gewillt und in der Lage sind, zum Wohle ihres Kindes zu kommunizieren und zu kooperieren und daß sie sich über grundlegende Fragen der konkreten Praxis des nachehelichen Sorgerechts einig sind. Vielmehr wird eine Beweispflicht zu Lasten des antragstellenden Elternteils eingeführt, daß die Aufhebung des gemeinsamen und die Übertragung des alleinigen Sorgerechts auf einen Elternteil dem Kindeswohl am besten entspricht. Dies ist die Wiedereinführung des Schuldprinzips.

2.Die Übertragung des elterlichen Sorgerechts auf einen Elternteil ist nur noch ausnahmsweise möglich, „wenn zu erwarten ist, daß die Aufhebung der gemeinsamen Sorge und die Übertragung auf den Antragsteller dem Wohle des Kindes am besten entspricht.“ Dies ist eine schwammige Formulierung. Fragt frau nach, wird klar, daß hier die ganz engen Voraussetzungen des § 1666 BGB – Gefährdung des Kindeswohls – gemeint sind, die gegenwärtig erfüllt sein müssen, damit es überhaupt nur zum Entzug des Sorgerechts kommen kann.

Mit dieser Regelung ist zugleich die Möglichkeit gegeben, daß das gemeinsame Sorgerecht per Zwang, das heißt auch gegen den Willen eines Elternteils angeordnet werden kann. In Zukunft heißt es dann: Bis daß die Volljährigkeit euch scheidet. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil von 1982 zu Recht bestimmt, daß Kooperationswillen und -fähigkeit beider Elternteile die Grundvoraussetzungen für die Übertragung des nachehelichen gemeinsamen Sorgerechts sind.

3.Die Alleinentscheidungsbefugnis des tatsächlich sorgenden Elternteils wird auf die Fragen begrenzt, „wann das Kind geweckt wird, was es zu essen und trinken bekommt, welche Fernsehsendungen es sehen darf und wann es zu Bett gebracht wird.“ In allen anderen Fragen entscheidet der andere, sorgeberechtigte aber nicht sorgepflichtige Elternteil mit. Die Vergabe von Rechten ohne Pflichten ist gleichheitsverstoßend und damit verfassungswidrig. Es bedeutet eine Einschränkung der Rechtsposition des betreuenden Elternteils. Konflikte zwischen den Eltern, die in der Regel zu Lasten des Kindeswohls gehen, sind vorprogrammiert. [...]

Eine wirklich das Kindeswohl in den Mittelpunkt stellende Regelung des nachehelichen Sorgerechts hat so zu erfolgen, daß unterschiedliche Sorgerrechtsformen ohne Bevorzugung eines Modells möglich werden. Ziel muß es sein, in jedem einzelnen Fall die Sorgerechtsform zu finden, die das Kind bestmöglichst vor den Elternkonflikten schützt. Es ist auszuschließen, daß das nacheheliche gemeinsame Sorgerecht gegen den Willen eines Elternteils verfügt werden kann. Können sich Eltern beim nachehelichen gemeinsamen Sorgerecht in einzelnen, wichtigen Angelegenheiten nicht einigen, so muß der betreuende Elternteil Entscheidungsvorrang haben. Christina Schenk, MdB, Bonn