: Geister-Akten, verschleppte Verfahren
■ Auch Theo Waigels und Irmgard Gaertners Akten verschwanden in von Bocks Schreibtisch
Eins kann man dem ehemaligen Oberstaatsanwalt Hans-Georg von Bock und Polach weiß Gott nicht nachsagen: Daß er CDU-Politiker während seiner Zeit als Ankläger einseitig begünstigt habe. Ihre Akten „verstaubten“ ebenso unbearbeitet auf seinem Schreibtisch wie die Verfahren ganz normaler Bürger und der SPD-Senatorin Irmgard Gaertner.
Das geht jedenfalls aus einem streng vertraulichen Bericht hervor, den Wolfgang Litzig im Auftrag des Justizsenators erarbeitet hat. Etwa fünf Wochen hat sich der Staatsanwalt durch einen Berg von etwa 180 Akten gewühlt und von Bocks Ermittlungsmethoden überprüft. Von Bock hatte den Aktenberg nach seiner Beförderung zum Innenstaatsrat hinterlassen.
Nächste Woche tritt Generalstaatsanwalt Dr. Hans Janknecht vor die Justizdeputierten. Er soll die 29 Fragen der grünen Bürgerschaftsfraktion zu den Ermittlungsmethoden von Bocks im Fall des CDU-Bürgerschaftsabgeordneten Helmut Pflugradt beantworten. Außerdem wird zu möglichen Ermittlungs- und Formfehlern Stellung nehmen, die von Bock in anderen Verfahren gemacht haben soll. Und davon gibt es laut Bericht, aus dem bereits einige Details durchgesickert sind, eine ganze Menge: Der ehemalige Oberstaatsanwalt von Bock soll etliche Verfahren schlichtweg nicht bearbeitet haben. So auch eine Anzeige gegen Irmgard Gaertner (SPD) wegen Betrugs. Die ehemalige Senatorin für Gesundheit, Jugend und Soziales hatte sich ihre Umzugskosten von 8.000 Mark aus der Staatskasse bezahlen lassen. Das trug ihr die öffentliche Schelte und eine Anzeige wegen Betrugs ein. Die Akte landete auf dem Schreibtisch von von Bock und blieb liegen. Der Staatsanwalt, der die Akte übernahm, forderte umgehend ein Gutachten der Senatskommission für Personalwesen (SKP) an und stellte das Verfahren binnen drei Wochen ein. Warum von Bock sich damit offenkundig so schwer tat, bleibt unklar.
Unklar ist auch, warum von Bock einige Ermittlungsverfahren nie registrieren ließ. Etwa zehn Akten sollen in seinem Amtszimmer gefunden worden sein, die nicht in den Registern der Staatsanwaltschaft auftauchten. Mit anderen Worten: Offiziell gab es diese Akten überhaupt nicht. Von Bock war somit der Einzige, der von der Existenz dieser Geisterakten wußte, und er hatte die alleinige Kontrolle.
Doch mitunter verlor der ehemalige Oberstaatsanwalt die Kontrolle über seine Akten: Die Akte Theo Waigel verschwand – die Anzeige des Bundesfinanzministers gegen einige Mitglieder des Anti-Rassismus-Büros wegen Beleidigung verlief im Sande. Ein Schicksal, das auch etwa 100 Verfahren wegen verschiedener Ordnungswidrigkeiten ereilte. Von Bock soll sie bei seinem Weggang ins Innenressort in seinem Zimmer liegengelassen haben – ohne seine Kollegen auf die drohende Verjährung hinzuweisen. Die Akten blieben liegen und verjährten.
Eine Tendenz – so heißt es – sei allerdings nicht zu erkennen. Von Bock sei bei der Verfolgung mutmaßlicher Straftäter politisch weder auf dem rechten, noch auf dem linken Auge blind gewesen. Er habe weder die einen noch die anderen mit der notwendigen Hartnäckigkeit verfolgt. Überhaupt habe er im Vergleich zu anderen Staatsanwälten wenig Anklagen geschrieben: Während – je nach Rechtsgebiet – durchaus 50 Anklagen in einem halben Jahr üblich seien, soll von Bock es auf gerade auf sechs Anklagen in sechs Monaten gebracht haben. Borttscheller soll der Bericht Litzigs zwischenzeitlich zugestellt worden sein. Als jetziger Dienstherr von Bocks entscheidet er über die Einleitung eines Disziplinarverfahrens. kes
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