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Wenn der letzte Blauhelm geht

Heute endet das Mandat der UN-Mission in Bosnien. Nach fast vier Jahren Krieg auf dem Balkan übernimmt jetzt die Nato das Kommando  ■ Aus Sarajevo Erich Rathfelder

Hinter dem Panzer der Blauhelme sammeln sich die Autos und die Lastwagen der humanitären Organisationen und der Journalisten. Selbst einige Fahrzeuge mit dem Nummernschild aus Sarajevo sind darunter, seit dem 1. Dezember werden auch sie durch das serbische Gebiet um Sarajevo geleitet. Am Ende des Zuges steht ein weiterer Panzer zum Schutz der Kolonne bereit.

Endlich geben die französischen Soldaten das Zeichen zum Aufbruch, die Kolonne setzt sich in Richtung Sarajevo in Bewegung. Vorbei an zerschossenen Gebäuden und zerstörten Industrieanlagen, erreicht der Konvoi die Demarkationslinie. Die serbisch-bosnischen Soldaten lassen ihn passieren. Bei den Pressefahrzeugen stutzen sie und zwingen die Journalisten zum Halten. Der hinter dem Konvoi fahrende UN-Panzer fährt vorbei. Der Konvoi entschwindet in der Ferne.

Wer sich von den Mitarbeitern der internationalen Hilfsorganisationen oder der Journalisten während der letzten dreieinhalb Jahre auf den Schutz der Blauhelme verließ, war nicht immer geschützt. Nicht einmal die gut sichtbare Pistole, die einem Journalisten von einem serbischen Soldaten an die Schläfe gehalten wurde, veranlaßte eine Panzerkolonne der Unprofor, zu helfen. Auch die Illusionen der Bevölkerung, die anfänglich das Einrücken der UNO- Truppen bejubelt hatte, schwanden dahin. Vor den Augen der Blauhelme wurde nicht nur in Srebrenica gemordet. Auch die Hilferufe muslimischer Flüchtlinge, die im April 1993 vor den Portalen der britischen Basis in Vitez vergeblich um Einlaß baten, blieben ungehört. „Das Mandat“, so begründete der verantwortliche Offizier, lasse „eine einseitige Parteinahme in diesem Bürgerkrieg“ nicht zu. Einige Wochen später wurde ein Konvoi der Stadt Tuzla von kroatischen Milizen an gleichem Ort unter den Augen der Unprofor beschossen und ausgeraubt. Mehr als ein Dutzend Menschen verloren dabei ihr Leben.

Das Mandat der Unprofor war nicht weitreichend genug, die Bevölkerung zu schützen. Es war das eines Dienstleistungsunternehmens für humanitäre Hilfe. Und dabei wurden auch große Leistungen vollbracht. Allein schon der Bau und die Pflege der Behelfspisten, als fast alle normalen Straßen nach Bosnien unterbrochen waren, half, Lebensmittel in die Kriegsgebiete zu schaffen. Auch die Infrastruktur, die nach und nach aufgebaut wurde, so zum Beispiel die „Maybe Airlines“ nach Sarajevo, die nicht nur Güter, sondern auch Menschen nach Sarajevo brachte, die medizinische Hilfe, der Hubschrauberdienst nach Tuzla, alles dies erlaubte den Hilfsorganisationen, Millionen von Menschen zu retten.

Das Mandat versetzte die Unprofor in eine Zuschauerrolle. Aber es gab individuell durchaus Spielraum für beherzten Einsatz. Einige britische Soldaten zum Beispiel brachten muslimische Frauen aus der Gefahrenzone in Zentralbosnien. Dänische Blauhelme retteten einige kroatische Familien in Vares vor den heranrückenden bosnischen Truppen.

Die Befehle möglichst weitgehend auszulegen war für einige Blauhelmsoldaten selbstverständliches Gebot. Die türkischen Truppen in Zenica, die Norweger, Dänen und Schweden in Ostbosnien halfen bei der Instandsetzung von Schulen, Krankenhäusern und bei der Wiederherstellung von Wasserleitungen.

Der Konvoi nach Sarajevo hat sein Ziel erreicht. Die Ruinen des Gebäudes der Zeitung Oslobodjenje, das schon zu Beginn des Krieges zerstört worden war, erinnert daran, daß diese Stadt über dreieinhalb Jahre belagert wird. Unter den Augen der Weltorganisation. Die französischen Soldaten winden sich aus ihren Panzern. Es war eine ihrer letzten Fahrten als UN-Soldaten. Die meisten von ihnen werden heute ihren Blauhelm gegen den der Nato eintauschen.

Für andere Mitarbeiter der UNO sind schon die Koffer gepackt. Im Pressebüro der Weltorganisation herrscht hektisches Treiben. Viktor Iwanko, der Pressesprecher, schaut etwas wehmütig um sich. Seit einem Jahr hat der gewichtige Russe nach manchen Fehlern seiner Vorgänger versucht, verspieltes Vertrauen in die Weltorganisation zurückzuerlangen. Zum Teil ist ihm dies auch gelungen. Jetzt heißt es Abschied nehmen. Der 42jährige Ex-Reporter der sowjetischen Regierungszeitung Iswestja winkt bei der Frage nach Erfolg und Mißerfolg der Unprofor ab. „Die Weltorganisation kann nur so gut sein wie ihre Mitglieder.“ Er bestreitet auch Einflußnahmen auf die Politik der UNO in Bosnien-Herzegowina durch die beteiligten Nationen nicht. Es habe widersprüchliche Interessen gegeben, die zur politischen Blockade führten. „Wenn es in Deutschland andere Sichtweisen gegeben hat, warum hat dann Deutschland nicht an der Mission teilgenommen? Deutschland ist einer der demokratischsten Staaten der Welt.“ Er wird ärgerlich. „Das Mandat der Blauhelme wurde im Weltsicherheitsrat bestimmt. Die Widersprüche dieses Mandats mußten die Soldaten ausbaden.“

Lehren aus dem Scheitern der UNO- Mission seien zwar zu ziehen, eine Reform der UNO würden sie jedoch nicht beflügeln. „Das hier ist ein bürokratischer Apparat, alle wollen ihre Jobs behalten“, wirft ein Mitarbeiter ein. Iwankos Blick wandert noch einmal über den leeren Schreibtisch. „Die Welt ist, wie sie ist.“ Eine Reform der Weltorganisation sei auch nach den Lehren aus Bosnien nicht zu erwarten.

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