Geniales Geknalle und Raserei

■ Die Kammerphilharmonie brillierte mit Beethovens 7. Sinfonie / Klavierkonzert mit Olli Moustonen

Die Jubelstürme anläßlich der Uraufführung der siebenten Sinfonie in A-Dur, op. 92, von Ludwig van Beethoven sprengten 1813 nach zeitgenössischen Berichten alles, was man bis dahin im Konzertsaal erlebt hatte. Beethovens Werk zählt zu den wenigen in der Musikgeschichte, bei denen eine solche Rezeption noch heute nachvollziehbar ist, besonders dann, wenn die Aufführung eine solche Kraft und einen solchen Schwung hat wie jetzt beim letzten Abonnementskonzert der Deutschen Kammerphilharmonie in der ausverkauften „Glocke“. Daß „Apotheose des Tanzes“, wie Richard Wagner das rhythmisch so vitale Werk nannte, zu kurz greift, machte der englische Dirigent Mark Wigglesworth in seiner Interpretation überragend deutlich. Gut artikulierte Durchsichtigkeit in allen Stimmen, größte Sorgfalt bei Farbschattierungen zwischen Bläsern und Streichern, überzeugende Tempi waren die Grundlage für die Bewältigung dieses „wahrhaft republikanischen Werkes des himmelstürmenden Giganten“ (der Dirigent Hans von Bülow 1850).

Das schwierigste und wichtigste für die Wiedergabe: Beethovens Forderung nach immer neuen, immer größeren Crescendi (Carl Maria von Weber wollte den Komponisten für dieses Werk ins „Irrenhaus“ schicken). Wenn SpielerInnen und HörerInnen schon am Ende ihrer Möglichkeiten scheinen, wird immer noch gesteigert. Daß dieses für alle Sätze der Sinfonie charakteristische Phänomen nicht in Krach endete, sondern seinen dramatischen Sinn behielt, zeichnete diese überragende Wiedergabe durchgehend aus. In ihrer politischen Position – musikalisch vorweggenommener Sieg gegen Napoleon – schließt sie sich durchaus der mitreißenden Interpretationstradition eines Arturo Toscanini oder eines Fritz Reiner an.

Immer wieder behielt Wigglesworth auch kammermusikalische Feinheiten im Auge, dirigierte sekundenlang überhaupt nicht, um ein filigranes Gefüge nicht zu stören. Und im letzten Satz verstanden es die MusikerInnen, durch bis zur Raserei gesteigerte Motivwiederholungen vergessen zu lassen, welche gesitteten und bürgerlichen Instrumente sie spielten.

Wer heute unberechenbares Glenn Gould-artiges Klavierspiel hören will, muß sich den finnischen Pianisten Olli Moustonen anhören. Alles, was der inzwischen weltberühmte junge Finne anpackt, scheint sich keiner Konvention zu verdanken, sondern wirkt als Neuschöpfung im Augenblick. Als er nun den Solopart der Klavierbearbeitung des Beethovenschen Violinkonzertes mit ausladenden Körperbewegungen spielte, erkannten viele das bei diesem Konzert so beliebte Melos nicht wieder. Moustonen spielt fast pedallos, läßt lyrische Legatoelemente kaum zu, sondern probiert extreme Anschlagsfinessen aus. Das führt zu Staccatotönen von nie gehörter Kürze bis zum vollkommenen Wegbrechen des Tones (und zum Herausknallen von anderen) – auch das riskiert er. Und versetzt dem Sechsachtelthema des letzten Satzes eine überraschende Akzentuierung. Auch dieses: kaum wiederzuerkennen. Aber wenn man dann in die Noten schaut: Es ist ein Akzent, der in Beethovens Partitur steht. Ebenso extro- wie introvertiert, stürzt sich Moustonen in die wilden Klangkaskaden seines Parts, negiert mit heftigen Attacken jegliches klassische Ebenmaß.

Begeisterter Beifall einerseits, aber in der Pause viele Stimmen: „So nun wirklich nicht, so ein Geknalle“.Selten genug, daß ein Beethoven-Abend zu einem aufregenden, weil kontrovers beurteilten Ereignis wird.

Ute Schalz-Laurenze