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Juppé lädt zum großen Palaver

Heute treffen sich Frankreichs Arbeitgeber, Gewerkschaftschefs und der Premierminister zum „Sozialgipfel“ – ohne Tagesordnung  ■ Aus Paris Dorothea Hahn

Über drei Wochen hat der Streik dauern müssen – erst dann war die französische Regierung bereit zu Verhandlungen. Heute nachmittag sollen sie unter dem pompösen Titel „Sozialgipfel“ am Sitz des Premierministers in Paris stattfinden. Die ChefInnen der großen Gewerkschaften, die Arbeitgeber und der Regierungschef werden teilnehmen. Eine Tagesordnung für das große Palaver gibt es nicht.

Louis Viannet, Chef der kommunistischen Gewerkschaft CGT, und Marc Blondel, Chef der traditionell moderaten FO, die einst aus einer Spaltung der CGT hervorgegangen ist, sind die Köpfe an der Spitze der Bewegung. Beide haben den Streik von Anfang bis Ende vor der Öffentlichkeit vertreten. Sie haben sich gegenseitig in immer radikaleren Forderungen überboten. Erst seit dem vergangenen Wochenende haben sich die Wege der beiden Gewerkschaftsfunktionäre wieder getrennt: Die landesweiten Anti-Juppé-Demonstrationen vom Dienstag – die viel kleiner ausfielen als die vorausgegangenen – veranstaltete die CGT wieder allein. Dennoch ist Viannet als Sieger aus dem Streik hervorgegangen. Der 62jährige ehemalige Postler befand sich im Einklang mit seiner Basis, die längst nicht mehr nur aus Kommunisten besteht. Auf dem Höhepunkt des Streiks wurde Viannet mit überwältigender Mehrheit in seinem Posten bestätigt. Die CGT spricht von „zahlreichen“ neuen Beitritten in die Gewerkschaft, die in den vergangenen Jahren des Niedergangs des Kommunismus über die Hälfte ihrer Mitglieder verloren hatte.

Die CGT will auf dem „Sozialgipfel“ vor allem über eine Anhebung der Mindestlöhne und die Verwandlung der immer zahlreicheren befristeten und prekären Arbeitsverträge in feste Arbeitsverhältnisse verhandeln. Das Thema Arbeitszeitverkürzung steht zwar auch auf Viannets Programmzettel, doch befürchtet seine Gewerkschaft, daß dieses Ziel nur zu dem Preis von Lohnsenkungen zu erreichen ist.

Aus der FO hingegen, die in der Vergangenheit die bevorzugte Gesprächspartnerin von Arbeitgebern und Regierung war, kommt Kritik an der radikalen Streikpolitik ihres Chefs. Bereits mitten im Streik versuchte Blondel seine Position zu mäßigen, drängte immer stärker nach „Verhandlungen“ und erklärte mehrfach, daß die Bewegung kein Generalstreik sei oder sein solle.

Bei dem „Sozialgipfel“ will Blondel vor allem über Arbeitszeitverkürzungen verhandeln. Von dem „vollen Lohnausgleich“, den er in der Vergangenheit gefordert hat, spricht er nicht mehr. Jetzt erklärt er, seine Gewerkschaft strebe eine sechste Urlaubswoche und eine Senkung der Überstunden an.

Nicole Notat hat sich im Laufe der Bewegung in eine schwierige Position manövriert. Die 47jährige Chefin der dritten großen Gewerkschaft, der traditionell sozialistischen CFDT, hatte den „Juppé- Plan“ als „im Prinzip richtig“ begrüßt. Im Eisenbahnerstreik, den sie anfänglich mittrug, rief sie früh zum Abbruch auf. Ein Teil der Basis beschimpfte Notat als „Verräterin“. Von einer Demonstration in Paris wurde sie von CFDT- Mitglieder mit sexistischen Beschimpfungen vertrieben. In Rennes forderten Streikende auf einem Transparent: „Juppé, du kannst zurücktreten. Nicole, du kannst dich wieder anziehen.“

Die Bezeichnung „Sozialgipfel“ stammt von Notat. Sie regte als erste an, auf höchster Ebene über eine generelle Arbeitszeitverkürzung zu verhandeln. Ihr zuliebe wählte Juppé diesen Arbeitstitel. Und als Geste an die CFDT-Chefin regte er ebenfalls an, auch über Maßnahmen gegen Jugendarbeitslosigkeit zu sprechen. – Probleme mit der eigenen Basis hat auch der Chef des Arbeitgeberverbandes CNPF, Jean Gandois. Bis Dienstag weigerte Gandois sich, überhaupt zu dem „Sozialgipfel“ zu gehen. Er bezeichnete die Themenliste als zu allgemein und den Termin als verfrüht. Auf Druck der großen Mehrheit seiner 566 Mitglieder muß er heute doch im Palais Matignon erscheinen.

„Ich gehe hin, um Hürden aufzustellen“, erklärte Gandois. Verhandlungen über Arbeitszeitverringerung und Lohnerhöhung werde er verhindern. Der Streik, so Gandois, habe 100.000 Arbeitsplätze gekostet.

Premierminister Juppé, der bis vor einer Woche das Wort „Verhandlungen“ noch wie die Pest vermied, mußte letztlich einen Rückzieher machen. Am Sonntag trat er mit neuer Bescheidenheit vors Fernsehpublikum, nahm die Verantwortung für den Streik auf sich und propagierte nun die Aussöhnung der Nation. Heute will er über Arbeitszeiten sprechen und dies als eleganten Ausstieg aus der Krise nutzen. Das Thema Lohnerhöhungen ist für Juppé tabu.

Der Plan zur Sanierung der Sozialversicherung, der Juppés Namen trägt und dessen Rückzug die verbindende gemeinsame Forderung aller Streikenden der letzten Wochen war, spielt bei dem „Sozialgipfel“ keine Rolle mehr. Das Ermächtigungsgesetz, das der Regierung gestattet seine einzelnen Bestandteile per Dekret umzusetzen, wurde am Dienstag abend vom Parlament verabschiedet: 115 zu 40 Stimmen.

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