Weihnachtsbäume in Kairo

■ An den Ufern des Nils träumt unser Korrespondent vom Duft frischer Tannen im Schnee. Ein Traum, der für manchen Ägypter auch in glühender Sonne wahr wird!

Kairo (taz) – Darf man den Augen trauen? Zwei Arbeiter tragen eine erstarrte Leiche, in weißes Leinentuch gehüllt, mitten durch das Foyer eines Kairoer Fünfsternehotels. Haben die militanten Islamisten Ägyptens ein weiteres Opfer auf dem Gewissen? Oder hat einer der Gäste den Klimaumschwung von den europäischen Minusgraden nicht überwunden? Doch da verrät ein hölzern wirkendes Stück, das wie aus Versehen aus dem Leichentuch ragt, die wahre Identität des Opfers. Es ist eine Baumleiche, genauer gesagt: ein Weihnachtsbaum.

Ein Blick durchs Hotel offenbart die ganze Wirklichkeit neokolonialistischer Kulturherrschaft. Noch klingt der orientalische Name des Hotels „Semiramis“ wie ein Palast aus Tausendundeiner Nacht im Ohr, da fällt der Blick auch schon auf Hunderte von rot und weiß blühenden Weihnachtssternen mit rotem Bändchen um den Blumentopf, die Treppengeländer, Aufzüge und Rezeption festlich schmücken. Man stelle sich nur vor, daß nächsten Monat die Besucher des Berliner Kempinski unter dem Licht mehrerer an der Rezeption aus gegebenem Anlaß angebrachter buntleuchtender Ramadan-Laternen nach ihrem Zimmerschlüssel verlangen würden.

Allein 15 Christbäume hat Sati Raslan, der Besitzer des „Grünen Fingers“, eines Blumenladens im Innern des Hotels, an die Nobelherberge verkauft. Ansonsten, so klagt er, läuft es allerdings dieses Jahr nicht so gut mit dem Weihnachtsbaumgeschäft in Kairo. Zwei Container mit 40 Weihnachtsbäumen habe er dieses Jahr aus Holland importiert. Wenige Tage vor dem großen Christenfest warten 15 seiner Bäume immer noch auf einen Käufer. Dabei handelt es sich für Raslan durchaus nicht um einen kleinen Nebenverdienst. Bis zu 400 Mark legen Kairos Weihnachtsfanatiker für einen echten, nach Fichte und Tanne riechenden mittelgroßen Baum hin. Verzweifelt hatte Raslan in den letzten Tagen versucht, einige Botschaften und Restaurants zum Kauf seines verbliebenen kostbaren Grüns zu bewegen. Raslans Problem: Dieses Jahr ist das Angebot weit größer als die Nachfrage. Vermasselt hat das Ganze ein Holländer, der zusammen mit einem ägyptischen Partner containerweise billige Bäume in Österreich eingekauft hatte und sie über Italien nach Ägypten verschiffen ließ.

Auf der Nilinsel Zamalek erstrecken sich ganze Wälder von Nadelhölzern. Hier ist das Zentrum des Kairoer Weihnachtsstraßenmarktes. Etwa vor dem Blumenladen „Gardenia“, wo eine ganze Allee verschiedener Bäume die ansonsten staubige Straße begrünt. Am billigsten sind die populären Zypressen von einem bis zu fünf Meter Länge zu erstehen. Diese resistenten Gewächse werden meist bei dem Versuch, die Wüste zu begrünen, gepflanzt und finden an Weihnachten ihre zweite göttliche Bestimmung. Der große Nachteil der Zypressen: Sie riechen nach absolut gar nichts. Auf dem Markt findet sich allerdings ein Duftspray, das selbst diesen in Deutschland allgemein auf Friedhöfen verwendeten Gewächsen den fröhlichen Geruch frischer Tannen im Schnee verleiht. Ansonsten gibt es bei „Gardenia“ alles, von holländischen Fichten bis zu österreichischen Tannen, den Schmuckstücken des gewitzten international operierenden Floristen Hussein.

Natürlich sind viele Ausländer seine Kunden, erklärt dieser. Aber die besonders teuren Bäume gehen in ägyptische Hände über. Für einen drei Meter langen importierten Baum hatte jemand gestern satte 700 Mark hingelegt. „Ägypter, die es sich leisten können, lieben den Luxus, ihr Geld auch für unsinnige Dinge auszugeben“, analysiert Hussein die Seelen der ägyptischen Oberschicht.

Die meisten der ägyptischen Kunden sind koptische Christen, die zwischen fünf und zehn Prozent der ägyptischen Bevölkerung ausmachen und die ihr Weihnachtsfest am 7. Januar feiern. „Weihnachtsbäume sind nicht direkt eine koptische Tradition“, erklärt der koptische Bischof Thomas. Obwohl es eine Verbindung zur biblischen Geschichte von Moses und dem immergrünen brennenden Busch im Sinai gebe, geriet die christliche Immergrün-Tradition mit der arabischen Eroberung Ägyptens in Vergessenheit. Erst mit dem Napoleon-Feldzug vor zwei Jahrhunderten wurden die Ägypter dann wieder mit Christbäumen konfrontiert.

Aber manche der Kunden sind auch Muslime. Viele von ihnen haben einige Jahre in westlichen Weihnachtshochburgen zugebracht. Andere folgen der Tradition, weil ihre Kinder in britischen, französischen oder deutschen Schulen in Kairo mit leuchtenden Augen vom Weihnachtsbaum in der Schule erzählen.

Ohnehin sind der silbern und golden glitzernde Baumschmuck und die blinkenden bunten Lichter geradezu ideal für den ägyptischen Geschmack. Vor wenigen Tagen kam die Arbeit in einem Büro einer US- amerikanischen Entwicklungshilfe-Organisation für mehrere Stunden komplett zum Stillstand, als eine der Mitarbeiterinnen mit einem Weihnachtsbaum zur Arbeit erschien. Der Rest des Tages wurde dann von den überwiegenden muslimischen Mitarbeitern mit der Dekoration des Baumes verbracht. Am Ende bog sich die derart gestaltete Zypresse unter dem Gewicht des roten, blauen, rosa und goldenen Lamettas, der Ketten blinkender Elektriklämpchen, der Dutzenden Kugeln in allen Farben und der vergoldeten Pinienzapfen zur allgemeinen Zufriedenheit der Belegschaft.

Festlich geht es auch im exterritorialen Weihnachtsgebiet der christlichen Botschaften zu. In der deutschen diplomatischen Vertretung geht alles seinen korrekten teutonisch bürokratischen Gang. Wenige Wochen vor Weihnachten kursieren die Listen für die Bestellung von großen und kleinen Weihnachtsbäumen, die dann an Lufthansa weitergereicht werden.

Genauere Statistiken über die eingeflogenen Bäume und Einzelheiten über die Zollformalitäten sind auch im Kairoer Lufthansa- Büro nicht erhältlich. Zirka fünfzig Bäume habe das Büro beim Lufthansa Catering Service dieses Jahr bestellt, schätzt LH-Mitarbeiterin Schermin. Die Bäume werden dann an deutsche Institutionen verschenkt oder an Mitglieder der deutschen Kolonie Kairos verkauft. Wer weiß, vielleicht kommt nächstes Jahr auch die deutsche Institution der taz in Kairo in den Genuß der milden grünen Gabe von Lufthansa. Karim El-Gawhary