: Zu gut für diese Welt
Hajo Gies drehte für RTL den aufwendigen Dreiteiler „Die Tote von Amelung“ (heute um 20.15 Uhr und am 28./29. jeweils um 21.15 Uhr) ■ Von Klaudia Brunst
Daß die junge Frau, die sich da so verträumt auf ihrem Fußboden räkelt, in wenigen Sekunden von einem Bottich flüssigen Wachs überschüttet werden wird, können wir bereits wissen, bevor der Mord geschieht. Schon seit Tagen annonciert uns RTL mit der Wachsleiche den Dreiteiler „Die Tote von Amelung“. Trotzdem ist das doch ein sehr schöner Anfang für eine Geschichte, die ihre Spannung vor allem aus ihren Bildern ziehen will. Regisseur Hajo Gies, uns allen noch gut in Erinnerung als „Schimanski“-Macher, zeigt mit dieser Produktion, daß er auch ganz gut ohne einen vor sich hinfluchenden Götz George auskommen kann.
Der Krimi ist klassisch gebaut. Dem Mord folgt die Kriminalpolizei, und die folgt dann den Spuren nach dem Täter. So schwer, möchte man meinen, kann das gar nicht sein. Schließlich ist Amelung eine kleine Insel mit nur 36 Bewohnern. Ein überschaubarer Kreis also, der sich allerdings zunehmend seltsam verhält – so daß wir schon am Ende der ersten Folge das dringende Gefühl haben, jeder könnte hier der böse Kerzenmacher gewesen sein.
Da gibt es zunächst den Leuchtturmwärter Leander. Ihn verband mit der toten Marie eine heimliche Romanze, aus der erst vor kurzer Zeit ein Kind hervorging. Leander entdeckte die Leiche und hat zudem kein Alibi für die Mordnacht vorzuweisen. Aber auch seine derzeitige Geliebte, die stotternde Insellehrerin, hätte ein gutes Motiv: „Ein Mann, zwei Frauen“, kombiniert der zugereiste Kommissar, „das ist noch nie gutgegangen.“
Daß das mit den „leichten Lösungen“ aber auch noch nicht gutgehen kann, liegt auf der Hand. Dreimal 90 Minuten – das ist viel Zeit für neue Fragen und schleppend recherchierte Antworten. Schon morgen findet die Polzei drei Brusthaare des Gastwirts am Tatort, so daß sich das Karussell der Verdächtigungen erneut zu drehen beginnt ...
Hajo Gies hat selbst erklärt, daß sich sein Film deutlich an die legendäre David-Lynch-Serie „Twin Peaks“ anlehnt. Immer wieder will er uns an der Nase herumführen, falsche Fährten legen, seltsame Verwicklungen produzieren. Und tatsächlich ist ihm mit der „Toten von Amelung“ ein ungewöhnlicher Erzählton gelungen, wie man ihn gerade bei RTL so nicht vermutet hätte. Denn einen langen Atem braucht es schon, will man mit dem geruhsamen Tempo der Inselbewohner mithalten.
Als die Privaten mit unzähligen US-Einkäufen den ersten Schritt zur neuen Marktführerschaft genommen hatten, war es vor allem RTL-Chef Helmut Thoma, der erkannte, daß man nun selbst Fernsehen machen müsse. Seit geraumer Zeit nun ist die „Konvergenztheorie“, derzufolge sich die beiden Kontrahenten des Dualen Systems immer weiter annähern, Wirklichkeit geworden. Noch vor fünf Jahren wäre eine so aufwendige Produktion wie diese nur bei den Öffentlich-Rechtlichen denkbar gewesen: 65 Drehtage auf der dänischen Insel Bornholm haben über sechs Millionen Mark verschlungen. Viele anderenorts bereits erfolgreiche Schauspieler geben sich auf der Insel ein Stelldichein. Und in der 35-mm-Inszenierung wurde tatsächlich nichts ausgelassen. Da verschiffte man zum Beispiel eine alte, wunderschöne Fähre eigens per Hochseeschlepper über das offene Meer nach Bornholm, nur damit die verwunschene Inselstimmung nicht durch ein profanes Bötchen gestört würde. Zwölf gigantische Feuerräder stürzte das Team über die Klippen von Bornholm, nur um der „Kartoffelnacht“-Feier ein schönes Bild abzuringen. Im Film werden die brennenden Räder nur wenige Sekunden lang zu sehen sein. Aber gerade solche Details machen aus einer einfachen Fernsehproduktion großes Pantoffelkino. Gies weiß das und schöpfte derart gnadenlos aus dem vollen, daß schon jetzt klar ist: Die Rechnung kann für RTL wirtschaftlich nicht mehr aufgehen.
Und so läutete Helmut Thoma bereits vor wenigen Wochen eine neue Ära im Kampf um die televisionäre Vorherschaft ein: Eigenproduktionen seien zu teuer, erklärte er der erstaunten Konkurrenz. Mit jeder Wiederholung einer billigen US-Krimiserie fahre man besser, weil das Verhältnis zwischen Werbeeinnahmen und Investitionskosten dort eben wesentlich günstiger ist.
Vielleicht hat er damit gar nicht so unrecht. Denn das traditionelle RTL-Publikum braucht so viel Bilderfeuerwerk wohl wirklich nicht, um sich gut zu amüsieren. Und ob die angestammten ARD- und ZDF-Seher ein für sie paßgenau erstelltes Kleinod bei einem ihnen weitgehend unbekannten Sender überhaupt finden werden, bleibt dahingestellt.
Vielleicht ist diese „Tote von Amelung“ also am Ende umsonst gestorben. Es wäre schade. Nicht nur, weil damit ein durchaus „Grimme-Preis“-würdiger Mehrteiler mal wieder sein Publikum verfehlte, sondern auch, weil man sich fragen muß, wer dann überhaupt noch großes Fernsehen machen kann. Denn die Öffentlich- Rechtlichen, von großer Sparnot gebeutelt, können sich derart aufwendige Produktionen in Zukunft wohl noch weniger leisten als die neureichen Bildschirmherren auf den privaten Konkurrenzkanälen.
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