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Kein Berufsverbot für Stasi-Anwälte

Bundesverfassungsgericht: Stasi-Mitarbeit allein zuwenig, um Anwalt Zulassung zu entziehen  ■ Aus Karlsruhe Christian Rath

Die „Würdigkeits“-Kontrolle für ostdeutsche AnwältInnen ist bislang etwas zu streng ausgefallen. Bloße Stasi-Kontakte reichen nicht aus, einem ehemaligen DDR-Advokaten die Zulassung zu entziehen. Das entschied gestern der erste Senat des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) in Karlsruhe. In einem Pilotverfahren hatte das Gericht über drei Verfassungsbeschwerden zu befinden – etwa fünfzehn ähnliche Verfahren liegen in Karlsruhe noch auf Halde. Unter ihnen auch dasjenige des Mitbegründers des „Demokratischen Aufbruchs“, Wolfgang Schnur. In zwei der drei Pilotfällen waren die Verfassungsbeschwerden erfolgreich. Im dritten Fall bestätigten die Karlsruher RichterInnen einen zuvor ergangenen Spruch des Bundesgerichtshofs.

Erfolg hatte ein Anwalt aus Sachsen, der jahrelang die von ihm vertretene Künstlerszene seines Ortes bespitzelt hatte. Er hatte keine belastenden Angaben gemacht und war auch nicht in die engere Privatsphäre eingedrungen. Ein Berufsverbot erschien dem Senat in diesem Falle unverhältnismäßig hart. Einer Anwältin aus Thüringen war ebenfalls aufgrund regelmäßiger Stasi-Zuarbeit die Zulassung entzogen worden. Dabei hatte sie auch die Vermutung geäußert, daß ein Kollege die Flucht in den Westen plane. Tatsächlich war dieser später bei einem Fluchtversuch verhaftet worden. Da aber insgesamt zwölf Spitzel auf den Mann angesetzt waren, konnte nicht belegt werden, daß gerade ihr Hinweis etwas mit der späteren Verhaftung zu tun hatte. Auch sie hatte bei den Richtern in Karlsruhe Erfolg. Bestätigt wurde dagegen das Berufsverbot für den Ehemann der Thüringer Anwältin. Er hatte nach der Verhaftung des fluchtwilligen Kollegen dessen Verteidigung übernommen und dabei dessen Prozeßstrategie an die Stasi verraten. Ihm nützte es auch nichts mehr, daß er den Kollegen später um Verzeihung bat und 50.000 Mark Entschädigung zahlte. – Nach der Wiedervereinigung galten zuerst die alten Anwaltszulassungen der DDR fort. Erst 1992 wurde ein Gesetz zur Prüfung von Rechtsanwalts- und Notarszulassungen erlassen. Dieses erlaubte den Entzug der Zulassung durch die Landesjustizministerien, wenn ein Verstoß gegen „die Grundsätze der Menschlichkeit oder der Rechtsstaatlichkeit, insbesondere im Zusammenhang mit einer Tätigkeit als hauptamtlicher oder inoffizieller Mitarbieter der Staatssicherheit“ bekannt wurde. Dieses Gesetz findet ausdrücklich die Zustimmung des BVerfG. Weil es eben nicht jeden Stasi-Kontakt bereits inkriminiere, lasse es genügend Spielraum für die Bewertung des Einzelfalles. Ob allerdings auch die flächendeckende Überprüfung der Ost-Anwälte bei der Gauck-Behörde rechtmäßig war, diese Frage läßt Karlsruhe ausdrücklich unbeantwortet.

Kritik gibt es allerdings für die Anwendung des Gesetzes durch die Justizminister Heitmann (Sachsen) und Jentsch (Thüringen, wird bald selbst Verfassungsrichter) sowie des Bundesgerichtshofs. Diese hätten das Gesetz faktisch „unterlaufen“, indem sie doch jede Stasi-Mitarbeit als „Verstoß gegen Menschlichkeit und Rechtsstaatsprinzip“ werteten. Nach Ansicht der VerfassungsrichterInnen müssen besonders schwere Umstände vorliegen, um ein Berufsverbot zu rechtfertigen. Gedacht wurde an das Mitteilen intimer Tatsachen oder von Dingen, die hinter dem Rücken der MandantIn ausgespäht worden waren. Zu beachten seien auch die Art des drohenden Schadens und ob die AnwältIn hiervon wissen konnte, sich also als DenunziantIn betätigt habe. Die beiden erfolgreichen KlägerInnen können nun allerdings nicht sofort in ihre Kanzlei zurück. Erst muß der Bundesgerichtshof über ihre Fälle unter Anwendung der BVerfG-Kriterien neu entscheiden. Hierzu heißt es im Urteil: „Ein Ergebnis wird ihm durch die Aufhebung nicht vorgegeben.“

Doch auch für den beim Verfassungsgericht unterlegenen Anwalt ist die Zeit der Ungewißheit noch nicht vorbei. Ein derartiges Berufsverbot wird nämlich nicht auf Dauer ausgesprochen. Der Kläger-Anwalt Michael Kleine-Cosack aus Freiburg rechnet fest damit, daß der Sachse bereits im nächsten Jahr wieder zugelassen werde. „Denken Sie nur an Horst Mahler“, erinnert Kleine-Cosack an den ehemaligen RAF-Mitbegründer, „der saß zehn Jahre im Gefängnis und arbeitet heute auch wieder als Advokat.“

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