Die Kirche wurde zu Kleinholz gemacht

■ Die erste Jahrtausendwende war wohl eher ungemütlich: Damals herrschte Weltuntergangsstimmung. Die heidnischen Slawen in Berlin aber kratzte das wenig

Wie haben unsere Ahnen in Berlin wohl die erste Jahrtausendwende von 999 auf 1000 gefeiert? Mit orgiastischen Tänzen rund um Wildschweinbraten und Honigwein? Ganz im Gegenteil. Damals herrschte, zumindest in den christianisierten Teilen Europas, tiefschwarze Endzeitstimmung. Aus der Ankündigung in den Evangelien, wonach das Jüngste Gericht jeden Tag zu erwarten sei, und aus dem biblischen Psalm 90,4, wonach für Gott tausend Jahre wie ein Tag sind, schlossen Theologen nämlich, daß zu Beginn des Jahres 1000 die Welt untergehen werde.

„Je näher dieses Jahr heranrückte, desto stärker wurde Europa von einer Weltuntergangsangst heimgesucht“, heißt es im Lexikon „Das geheime Wissen der Frauen“ unter dem Stichwort „Weltgericht“. „Fanatiker wanderten durch das Land und kündigten die Letzten Tage an, viele Menschen gaben daraufhin ihre Höfe auf und verließen ihre Dörfer. In einigen Regionen kamen Landwirtschaft und Handel praktisch zum Erliegen. Das Jahr 1000 verging ereignislos, aber die Menschen litten schwer unter den Hungersnöten und Unruhen, die der Glaube an das bevorstehende Weltende verursacht hatte.“

Aber selbst bei fröhlicher Stimmung wären die Silvesterfeiern ausgefallen, weil es Silvester schlicht noch nicht gab. Für die Christen fiel der Beginn des neuen Jahres jahrhundertelang auf Mariä Verkündigung, den 25. März. Der weitverbreitete römisch-heidnische Brauch, die Nacht auf den 1. Januar als Neujahrsnacht grölend zu durchzechen, wurde erst im Jahre 1691 durch den Papst legalisiert. Seitdem rutschen wir an Silvester ins neue Jahr – selbstredend mit feierlicher Gedenkminute an Papst Sylvester I., der angeblich eine Wunderheilung an Kaiser Konstantin vollbracht hatte und seitdem den 31. Dezember mit seinem Namen schmücken durfte.

Was also geschah in der Nacht vom 24. auf den 25. März 999 in der Gegend von Berlin? Mit ziemlicher Sicherheit steht fest: Ein Bär brummte, ein Schwein grunzte und ein Käuzchen schrie. Mehr ist historisch leider nicht zu beweisen. Aus folgenden Gründen: Erstens entspricht unser heutiger 24. März nicht dem damaligen 24. März, weil der alte Julianische Kalender im Jahre 1582 durch den Gregorianischen ersetzt wurde und dabei zehn Tage gestrichen wurden. Zweitens sind aus diesen finsteren Zeiten fast keine schriftlichen Quellen überliefert. Drittens interessierten sich die slawischen Schweinehirten und Bärenjäger, die durch das spätere Stadtgebiet Berlins stampften, einen Dreck für die christliche Zeitrechnung. Die „Heveller“ im Havelland und die an der Spree siedelnden „Sprewanen“ waren heidnische Slawenstämme, die lokale Götter anbeteten und sich verzweifelt gegen die immer neuen Eroberungsversuche des deutschen Kaisers Otto III. wehrten. Endgültig unterworfen wurde Brandenburg erst 1157.

Berlin im Jahr 1000 – das waren eine Handvoll elender Hütten in Kaulsdorf, Marzahn und Mahlsdorf und wilder Urwald im späteren Stadtzentrum. In Spandau, Blankenburg, Treptow und Köpenick hatte der slawische Adel primitive Holzburgen errichtet. Spandau mit seinen vielleicht 600 Menschen war die größte Menschenansammlung weit und breit. Das auf zwei Havelinseln strategisch günstig gelegene Spandau hatte noch etwas Besonderes: die einzige christliche Kirche östlich der Elbe, die in dieser Zeit überhaupt zu finden ist. Wer unter all diesen Heiden die Kirche gebaut hat, ist völlig unbekannt. Beim Slawenaufstand im Jahre 983 jedenfalls wurde sie zu Kleinholz verarbeitet, verbrannt und niedergemacht. An ihrer Stelle entstand um das Jahr 1000 herum – eine Sauna. Ute Scheub