„Natürlich sind wir eine Linkspartei“, sagte Oskar Lafontaine kurz nach seiner Wahl zum neuen SPD-Vorsitzenden. Seitdem wird allenthalben über eine linke Renaissance in Deutschland spekuliert. Angesichts einer wackligen FDP und dreier anstehender Landtagswahlen könnte die konservative Bonner Mehrheit in diesem Frühjahr ins Rutschen geraten. Kommt es zum Bündnis zwischen dem „roten“ Lafontaine und dem „grünen“ Fischer? Hat links in diesem Jahr wieder eine Chance? Welche Inhale verbinden wir mit einer vermeintlich linken Politik und Kultur? Die taz hat herumgefragt: Bei Politikern der unterschiedlichen Couleur, bei Kulturschaffenden und Wirtschaftskapitänen.

Oliver Tolmein, Journalist: Links zu sein bedarf es wenig, und wer links ist, wird schnell König. Das war mal, eine deutsche Teilung ist's her, ein dummes Märchen. Heute gibt klangvollere Titel: Gesamtdeutscher Dezernent für Multikultur, Oberster Vorsitzender der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, Fraktionsführer mit Generalstab 1. Klasse. Was das mit links zu tun hat? Weißauchnichabermußwohl... (P.S.: Spannender scheint die Frage nach den Perspektiven des Linksradikalismus. Aber die Antworten sind zu geheim und zu teuer erkauft, als daß sie jemand dem taz-Publikum verraten könnte, das noch nichtmal die eigene Zeitung ordentlich bezahlt. Außerdem ist es verboten für die radikal zu werben.

Joseph von Westphalen, Publizist: Links? Heute mehr eine Herkunftsbezeichnung. Heißt: Aus einer Ecke kommen, in der man das Beste vergeblich gehofft hat, immerhin. Ist doch was. Netter, als schon immer alles besser gewußt zu haben. Heute links? Erinnerung an einen Stall. Etwas sentimental. Im Gegensatz zu den totalrenovierten Stallungen der Rechten ist der Stall der Linken perdu. Man kann auch Ideologie sagen, oder Heimat. Demnach wäre die Linke heimatlos. Besser als früher. Doofe Linke heulen über den Untergang der Heimat und wollen sie wieder haben. Lustige Linke tragen den Verlust der Heimat mit Witz und Würde und treiben sich unbeschwert in der Welt herum und erkennen sich am Stallgeruch.

Elfriede Jelinek, österreichische Schriftstellerin, Mitglied der KP: Ich bin seit den letzten Nationalratswahlen sehr verwirrt, was die Frage nach „links“ und „der Linken“ angeht.

Ich kann einfach nicht mehr sagen, was dieser Begriff noch meint. Und zwar, weil von der sogenannten linken Seite eingeschlagen wurde auf Künstler und Intellektuelle, die vor Jörg Haider und seiner rechten Politik gewarnt haben: Unser apokalyptisches Geschrei, so warf man zum Beispiel Peter Turrini und mir vor, habe den Haider erst groß gemacht.

Ich finde diese Vorwürfe skandalös, gerade weil sie aus der linksalternativen Szene kommen.

Bärbel Höhn, Bündnis 90/Grüne, Ministerin für Umwelt, Raumordnung und Landwirtschaft/Nordrhein-Westfalen: Links ist für mich: Wenn für die alten Menschen, die in Abfalleimern nach Eßbarem suchen, gesellschaftliche Lösungen gefunden werden und sie nicht nur karitativ behandelt werden; wenn soziale Ungerechtigkeit als Problem nicht nur analysiert wird, sondern auch angegangen wird; wenn Solidarität, Gleichberechtigung und demokratische Mitwirkung umgesetzt werden.

Die Hoffnung, linke Politik zu machen, habe ich immer dann, wenn mir Menschen im überfüllten Nahverkehrszug aufmunternd auf die Schulter klopfen und sagen: Nur weiter so!

Georg Kronawitter, SPD-Abgeordneter im Bayerischen Landtag, Altoberbürgermeister von München: Politisch links war, ist und bleibt für mich identisch mit dem Wort Sozialdemokratie, was beinhaltet: sich für jene besonders einsetzen, die es schwerer haben als andere; für mehr soziale Gerechtigkeit kämpfen; die großen Vermögensbesitzer endlich zu angemessenen Abgaben bringen; „blauen Himmel“ über der Ruhr durchsetzen oder heute: Natur bewahren für unsere Kinder. Wer aber – wie Lafontaine – gezielt eine Rechts-links-Auseinandersetzung inszeniert, muß akzeptieren: „Links + links + links = 46 %.“ Besser wäre: jeden Tag in eine der 100 sachpolitisch offenen Flanken des Aussitzers Kohl hineinzustechen.

Gerhard Mayer-Vorfelder, CDU, Finanzminister in Baden- Württemberg: Der Begriff „links“ weckt in mir keine positiven Assoziationen. Links steht für mich zu oft als Synonym für Gleichmacherei, Umverteilung, Schwächung der Leistungsträger, diktatorische Gesellschaftsformen, die auch unter dem Deckmäntelchen der Demokratie agieren, sowie häufig für Bonzentum, das auf Kosten der breiten Bevölkerung lebt. „Links“ heißt für mich Mißwirtschaft und Schuldenmacherei. Die Grenzen zwischen links und kommunistisch sind fließend.

Wenn Oskar Lafontaine die SPD als Linkspartei bezeichnet, so will ich ihm dies nur zum Teil glauben. Er mag zwar dabei an sich selbst und an seinen Schmusekurs mit der PDS denken. In Wirklichkeit ist die Anhängerschaft der SPD so vielschichtig, daß ich glaube, daß viele ihrer Wähler diesen Kurs auf Dauer nicht werden mittragen wollen.

Hans-Olaf Henkel, Präsident des Industrieverbandes BDI, zur Zeit zwischen Dover und Calais: An Bord gibt es nur backbord und steuerbord, da kann links auch mal rechts sein. Links politisch? Überholt, bürokratisch, hat vor lauter Fremd- und Mitbestimmung die Selbstbestimmung vergessen. Entdeckt zur Zeit den mündigen, selbstständigen, eigenverantwortlichen Menschen, der vor sich selbst geschützt werden muß. Kommt immer öfter in grüner Farbe daher. Bleiben wir mal an Bord: Wenn Sie links von sich eine grüne oder rote Positionslampe sehen, dann schauen Sie immer rückwärts.

Jürgen Kuttner, Rundfunkmoderator: Links sind seltene Tugenden des Alltags: Selbstironie, Neugier, Sinn für Tragik, Mißtrauen gegen das, was ist und Mißtrauen gegen sich selbst.

Eberhard Diepgen, CDU, Regierender Bürgermeister von Berlin: Berlin als Werkstatt der Einheit, als Stadt im Zusammenwachsen, kann sich in dieser Zeit des Umbruchs die intellektuellen Spielchen um links und rechts nicht leisten. Hier müssen noch einige Jahre lang viele an ein und demselben Strick ziehen.

Marieluise Beck, Bremer Bundestagsabgeordnete der Grünen: Einen klassischen Links-Begriff, der mit der ökonomischen Analyse nach Kalle Marx zusammengehört und aus dem ein bestimmtes Politikmodell abgeleitet wird, sehe ich nicht mehr. Links sind Solidarität, soziale Gerechtigkeit und Demokratie, aber die schreiben sich auch bürgerliche Parteien auf die Fahnen. Der Links-Begriff ist äußerst unscharf geworden, zumal die ökologische Frage im alten Links-System nicht untergebracht ist.

Klaus Zwickel, 1. Vorsitzender der IG-Metall: Links sein bedeutet Einsatz für die Armen und die Schwachen, ihre Rechte fördern, ihre Chancen erhöhen, ihre Zukunft sichern und lebenswerter gestalten. Ohne Gewerkschaft wäre die Mehrheit der Bevölkerung schutzlos: Den Kündigungsschutz, die Lohnfortzahlung bei Krankheit oder die Mitbestimmung gäbe es nicht. Bis heute muß ständig dafür gekämpft werden. Deshalb ist die Gewerkschaft bei aller auch an ihr möglichen Kritik das Stärkste, was die Schwachen haben.

Willi Lemke, Manager von Werder Bremen: Links ist eine Peson oder eine politische Richtung, die sich schwerpunktmäßig um die Wahrung der Interessen der Schwachen kümmert und nicht bloß die Gewinnmaximierung im Auge hat, und wer auch mal auf aktuellen Profit verzichtet.

Peter Duncan, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Shell AG: Nach all meinen Erfahrungen, die ich in Europa und in Übersee gemacht habe, halte ich es mit dem Dichter Ernst Jandl, der gesagt und geschrieben hat: „Manche meinen, lechts und rinks kann man nicht velwechsern, werch ein Illtum!“

Dieter Hildebrandt, Kabarettist: Früher war links rot, bis rot rechts wurde. Zwischendurch war alles links, was links von braun war, dann wurde rechts schwarz und links rosa. Später war rot-schwarz mehr Mitte, dann die Mitte mehr rechts, weil links hinten war und rechts vorne und schwarz oben. Oben, unten, rechts, rot, schwarz, braun hinten, links von mir ist alles rechts und über uns der Himmel. Jesus ist links. Paulus ist rechts. Die Linke von Henry Maske ist rechts. Die Menschenrechte sind links.

Erich Kuby, Publizist: Nur in der Kombination „Linkshänder“ hat das Wörtchen „links“ noch Eindeutigkeit. Daß es in seiner politischen Bedeutung ins Rutschen gekommen ist, ist der Schnee von gestern. Aber plötzlich hat es wieder eine neue Aufwertung gewonnen, seitdem mit Lafontaine und Fischer die Vorstellung von einer „linken Mehrheit“ als erreichbar angesehen wird, so daß es von der Kohl-Sippe mit dem Angstschrei bekämpft wird, da werde eine „andere Republik“ angesteuert.

Daraus könnte geschlossen werden, daß diese „linke Mehrheit“, ließe sie sich nach den nächsten Bundestagswahlen verwirklichen, den Begriff „links“ in seiner tradierten Bedeutung mit ihrem klassenkämpferischen Hautgout erfüllt. Nichts weniger ist zu erwarten.

Die das Regime Kohl ersetzen wollen, werden zwar nicht gerade zu neuen Scharpings, dieser Volksausgabe Kohls, aber sie beteuern, daß alles, was ihnen in der Opposition noch mühsam genug als „links“ ausgelegt wurde, im Besitz der Macht verschwinden werde. Schon jetzt finden in zentralen Fragen, an denen sich allenfalls ein Links-rechts-Gegensatz hätte entzünden lassen, opportunistische Preisgaben linker Gesinnungsbekundungen statt.

Volker Beck, rechtspolitischer Sprecher der Fraktion B'90/Grüne im Bundestag: Links ist, wenn man trotzdem lacht.