: „Kontraproduktive“ Verträge
■ AfB fordert Änderung des Mustergrundstücks-Vertrages / Arbeitsressort: Antrag geht am Thema vorbei
Schon als 15jähriger Stift träumte Walter Kraps davon, sich als Karosserie-Bauer selbständig zu machen. Neun Jahre später – die Tinte auf dem Meisterbrief war gerade getrocknet – eröffnete er seine Werkstatt. Das Geschäft lief gut – nach sechs Jahren wollte Kraps erweitern. Die Stadt Bremen griff dem Jungunternehmer mit einem attraktiven Grundstück unter die Arme. Für 96.000 Mark kaufte der Karosserie-Bauer eine 1.600 Quadratmeter große Liegenschaft in Huchtingen. Geschätzter Verkehrswert des Grundstückes: 141.000 Mark. Die Differenz von 45.000 Mark buchte die Stadt unter Wirtschaftsförderung ab. Bedingung: Kraps, auf dessen Lohnliste damals drei Angestellte standen, sollte binnen der nächsten zehn Jahre sechs weitere Arbeitsplätze schaffen. Mit „Bauchschmerzen“ setzte Kraps damals seine Unterschrift unter den Vertrag. „Zehn Jahre sind eine lange Zeit. Da kann man für nichts garantieren“, sagt er heute. Eine berechtigte Befürchtung, wie sich jetzt gezeigt hat. Mitte November bekam der Unternehmer Post vom Grundstücksamt: 60.085 Mark Fördergelder plus Zinsen soll er zurückzahlen. Er hat es nicht geschafft hat, die vertragliche vorgesehene Anzahl an Arbeitsplätzen zu schaffen. Stattdessen hat er seinen Personalstamm über zwei Jahre hinaus um mehr als 30 Prozent reduziert. „Dabei habe ich die Krise in der Automobilbranche nicht verschuldet“, klagt Kraps. Bei einem Jahresumsatz von 400.000 Mark weiß er nicht, wie er das Geld zurückzahlen soll.
„Die Vertragsklauseln des Mustergrundstücksvertrages der Stadt Bremen sind Strafgelder für mittelständische Unternehmer“, empörte sich Andreas Lojewski, Fraktionssprecher der Wählergemeinschaft Arbeit für Bremen (AfB) gestern. „Unternehmer, die durch eine schlechte Konjunktur unverschuldet in eine Krise geraten, kämpfen um ihre Existenz und dann kommt die Stadt und verlangt die Fördergelder zurück.“ Viele Unternehmer würden aufgrund der Vertragsbedingungen regelrecht „abgeschreckt“, sich in Bremen niederzulassen. Die AfB-Fraktion will deshalb unter anderem die Klausel über die Schaffung von Arbeitsplätzen im Mustergrundstücksvertrages für Gewerbeflächen ändern. Eine Forderung, die sich auch die Große Koaltion von CDU und SPD unter Ziffer 154 des Koalitionsvertrages auf die Fahnen geschrieben haben. Die Unternehmer sollen die Fördergelder nur zurückzahlen, wenn sie binnen einer zehn-Jahres-Frist ihren Betrieb stillegen, verkaufen oder verpachten ohne das Bremen zustimmt.
Mehrere Hundert Unternehmer interessieren sich nach Auskunft der Wirtschaftsförderungsgesellschaft jährlich für eine Grundstücksförderung. Die Kriterien sind streng – nur etwa 20 Anträge werden bewilligt. Doch viele Firmenchefs winken von vorneherein ab, wenn sie die Bedingungen des Grundstücksvertrages lesen. „Es ist sehr schon sehr schwierig, die Unternehmer davon zu überzeugen, den Vertrag zu unterschreiben“, weiß Heinrich Möller. Er ist bei der Wirtschaftsförderungsgesellschaft für die Gewerbeansiedlung im Bremer Süden zuständig. „Die Stadt ist aber bei den Rückforderungen den Unternehmern gegenüber sehr kulant.“ Deshalb rät er den Firmenchefs trotzdem zur Unterschrift. Dennoch ist es seiner Meinung nach, „schlicht unseriös“ die Unternehmer zehn Jahre zu verpflichten. Andernorts ist man großzügiger. „Im Bundesvergleich sind die Vertragsklauseln des Mustergrundstücksvertrages einmalig“, bestätigt Harald Matys, Geschäftsführer der Wirtschaftsförderungsgesellschaft. In zwei Wochen will er dem Wirtschaftssenator eine Analyse über den Vergleich der Mustergrundstücksverträge von 12 Großstädten vorlegen. Von dort wird schon jetzt die Bereitschaft signalisiert, die Vertragsklauseln zu aufzuweichen. „Grundsätzlich können wir uns mit der Änderung anfreunden“ bestätigt Pressesprecher Frank Schaer.
Jörg Henschen, Pressesprecher im Arbeitsressort, versteht die Aufregung um die Vertragsbedingugen hingegen nicht. „Der Antrag der AfB geht am Thema vorbei“, sagt er. „Es kommt höchst selten vor, daß ein Unternehmer die Fördergelder tatsächlich zurückzahlen muß - vielleicht dreimal im Jahr“. Diese Unternehmer hätten die Produktion aus Bremen abgezogen oder den Betrieb stillgelegt. Bei Unternehmern, die unverschuldet in eine wirtschaftliche Krise geraten seien, würde die Stadt mitunter auf die Rückforderung sogar verzichten.
Den Karosseriebaumeister Walter Kraps tröstet das nicht. Bis zum 15. Dezember hätte er die 60.085 Mark zurückzahlen sollen. „Solange ich nicht sicher weiß, ob ich nun zahlen muß oder nicht, kann ich doch überhaupt nicht kalkulieren“
. kes
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