piwik no script img

Haus sucht Hüter

Bloß keine fadenscheinigen Superlativ-Lösungen! Heiner Müller wollte dem Berliner Ensemble ein unverwechselbares Profil geben. Diese Arbeit muß von seinen Mitarbeitern fortgesetzt werden. Es ist schon zu viel versäumt worden  ■ Von Petra Kohse

Am 14. August 1956 starb der Dichter, Dramatiker, Regisseur und Theaterleiter Bertolt Brecht in seiner Ostberliner Wohnung an den Folgen eines Herzinfarkts. Er war 58 Jahre alt. Am 17. August 1956 wurde er seinem Wunsch entsprechend auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof beerdigt. Einen Tag später veranstaltete die DDR-Regierung in Brechts Theater am Schiffbauerdamm, dem Berliner Ensemble, einen Staatsakt. Dann ging die Arbeit unter der Leitung von Brechts Frau weiter, der Schauspielerin Helene Weigel, die das Ensemble 1949 gemeinsam mit Brecht gegründet hatte.

Als Helene Weigel am 5. Mai 1971 starb, übernahm Ruth Berghaus die Intendanz. Schon seit 1964 war sie als Regisseurin und Choreographin am Berliner Ensemble, und 1970 hatte Helene Weigel sie zu ihrer Stellvertreterin gemacht. 1977 wurde Berghaus von Manfred Wekwerth abgelöst, dem ehemaligen Brecht-Assistenten und späteren Chefregisseur am Berliner Ensemble. Bis 1992 blieb er der Leiter des Theaters am Schiffbauerdamm.

Die Situation

Am 30. Dezember 1995 starb der Dichter, Dramatiker, Regisseur und Leiter von Brechts Berliner Ensemble, Heiner Müller, in einem Berliner Krankenhaus an einer Lungenentzündung. Er war 66 Jahre alt. Am 16. Januar 1996 wird er seinem Wunsch entsprechend auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof beerdigt. Doch wie es mit dem Theater weitergeht, weiß momentan keiner.

Auf über vier Jahrzehnte Kontinuität folgten ab 1992 drei Jahre Desorientierung, und allein die Persönlichkeit Heiner Müllers verhinderte am Schluß den Zusammenbruch des Spielbetriebs. Nach seinem Tod tritt es nun um so deutlicher zutage: Das einstige Renommierensemble ist zum Spekulationsobjekt geworden, und derzeit scheint alles möglich. Während das Ensemble seinen ehemaligen Dichter-Intendanten derzeit bis zu dessen 67. Geburtstag am 9. Januar mit einer täglichen, mehrstündigen Lesung seiner Werke ehrt, wird auf der Leitungsebene mit dem Kultursenator fieberhaft über die Nachfolge Heiner Müllers diskutiert. Erst hieß es, schon vorgestern werde eine Entscheidung fallen, mittlerweile will man damit bis nach der Beerdigung warten. In jedem Fall solle es sich um eine Persönlichkeit handeln, sagte der künstlerische Koordinator Stephan Suschke, deren Namen „die Theaterwelt nach dem Bekanntwerden mindestens zwei Wochen in Erstaunen versetzt“. Irgendwer will „Claus Peymann“ und „Peter Stein“ gehört haben, doch gibt es bei solchen „Möglichkeiten“ faktische oder ästhetische Einwände, die das Geraune zur Farce machen.

Auch ist die Angst vor einer Schließung des Theaters noch nicht ausgeräumt. Der derzeitige Vertrag der Berliner Ensemble GmbH mit dem Senat endet am 31. Dezember 1997, und mit dem Tod von Müller ist jetzt der dritte von fünf Gründungsgesellschaftern ausgeschieden. Zwar sicherte der noch amtierende Kultursenator Ulrich Roloff-Momin zu, die GmbH dürfe sich selbst ergänzen – aber wer garantiert, daß dem nächsten Kultursenator der gute Wille seines Vorgängers eine Verpflichtung ist?

Die Hysterie

In dieses Stimmengewirr mischt sich überdies mit penetranter Regelmäßigkeit der Dramatiker Rolf Hochhuth. Schon mehrfach hat er Ambitionen gezeigt, sich zur Leitung des Berliner Ensembles zu gesellen, in den letzten Monaten propagierte er, das Haus von den Alteigentümern kaufen zu wollen, beziehungsweise es von ihnen als Schenkung in seine Ilse-Holzapfel- Stiftung zu übernehmen. Auf seine neuerlichen tumben Avancen, Gesellschafter werden zu wollen, reagierte das Haus diesmal besonders empört, auch der Kultursenator meldete sich zu Wort und Hochhuth schickte einen offenen Brief an Roloff-Momin.

Die Medien verfolgen seit Monaten treulich jeden Schlagabtausch in dieser Sache, und obwohl es bislang keine Fakten, sondern nur Absichten gibt, verhelfen sie dem semmelgrauen Dramatiker zu einer Publizität, die nicht größer sein könnte, wäre er in Personalunion bereits Vermieter und Intendant des Berliner Ensembles. Irgend etwas läuft hier schief.

Die Kulturverwaltung weiß schon lange davon, daß es Alteigentümer des Theaters am Schiffbauerdamm gibt. Sie hat sich nicht darum gekümmert, diese ausfindig zu machen und dem Land Berlin ein Vorkaufsrecht zu sichern. Warum nicht? Seit eineinhalb Jahren war Heiner Müller krebskrank, mit seinem Tod war zu rechnen. Offenbar hat er keinen Nachfolger ernannt, warum hat die Geschäftsführung keine Vorsorge getroffen? Warum wird jetzt mit einem Senator verhandelt, der vielleicht schon übernächste Woche gar nicht mehr im Amt ist? Warum setzt man sich überhaupt unter Zeitdruck? Die Spielzeit ist geplant, und wenn sich im März ein Nachfolger fände, wäre noch immer Zeit genug.

Doch die Verhältnisse, die sind nicht so. Angesichts der Haushaltslage schließen es die koalierenden Parteien nicht aus, daß ein weiteres Berliner Theater geschlossen werden muß (auch wenn jetzt wahlweise von einer Erhöhung der Kartenpreise gesprochen wird).

Die Möglichkeit

Ein Haus ohne Hüter böte sich natürlich auf dem Präsentierteller dar, ganz gleich, welche Versprechungen dem Berliner Ensemble bisher gemacht wurden. Deswegen wohl das Fieber, deswegen wohl die Hysterie, die nur ein Spiegel dessen ist, wie Berliner Kulturpolitik betrieben wird: ohne Sicherheit, Voraussicht und Konzept.

Auch der Plan, mit Matthias Langhoff, Fritz Marquardt, Heiner Müller, Peter Palitzsch und Peter Zadek ein Ost-West-Fünfer-Direktorium am Berliner Ensemble zu etablieren, war seinerzeit eine Neuigkeit, die die Theaterwelt „nach dem Bekanntwerden mindestens zwei Wochen in Erstaunen versetzt“ hat. Was daraus geworden ist, weiß man. Dennoch wandert der Blick der jetzigen Zukunftsplaner offenbar nicht durch die eigenen Reihen, sondern zu den Sternen. Vielleicht wurde auch schon Peter Sellars angerufen. Oder Peter Brook. Hauptsache ist wohl, daß jemand kommt, den die zukünftige Regierung nicht wieder vor die Tür setzen kann, ohne sich zu blamieren. Doch so zu taktieren wäre schon jetzt blamabel.

Als nach dem Weggang Peter Zadeks im letzten Frühjahr Heiner Müller zum alleinigen Direktor ernannt wurde, rief man im Berliner Ensemble das Zeitalter der Konsolidierung aus. Mit Stücken von Shakespeare, Brecht und Müller, mit Regisseuren wie Fritz Marquardt, Peter Palitzsch, Heiner Müller, Einar Schleef und Thomas Heise sollte eine Linie verfolgt werden. Daß sie bislang kaum kenntlich geworden ist, liegt an dem Reinfall mit Müllers „Philoktet“ in der Regie von Josef Szeiler und an den Verschiebungen von Heises „Bau“-Projekt und Schleefs „Puntila“-Inszenierung.

Sollten das etwa Omen sein? Es sind theateralltägliche Vorkommnisse. Der Tradition des Hauses würde es entsprechen, unter Müllers Mitarbeitern einen Nachfolger zu suchen. Und zwar nicht – wie anstandshalber ebenfalls bereits vorgeschlagen wurde – unter den Ältestregisseuren Marquardt und Palitzsch, sondern unter denen diesseits des Pensionsalters, namentlich Einar Schleef und Thomas Heise. Tut man das nicht, sondern besteht zwanghaft auf einer atemberaubenden „Prominenz“, dann wird ganz deutlich, wie wenig Vertrauen der Arbeit Heiner Müllers letztlich entgegengebracht wurde. Und wie wenig man die Künstler schätzt, die momentan dort am Hause arbeiten. Dabei können nur sie dem Theater ein Profil geben, das es in Berlin unverwechselbar macht.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen