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„Kasernen sind Mörderschulen“

Nach seinem Freispruch wiederholt ein Totalverweigerer seine Soldatenschelte. Provinzrichter entschuldigt sich bei Soldaten: Er habe keine andere Wahl gehabt  ■ Von Klaus-Peter Klingelschmitt

Mainz (taz) – Der Vorsitzende Richter am Landgericht in Mainz, Karl-Hans Fischer, entschuldigte sich gestern für sein Urteil, und zwar bei den fünf, im Gerichtssaal anwesenden, Soldaten der Bundesluftwaffe: „Leider, leider“, sagte Richter Fischer, habe er den Angeklagten, der vor mehr als sechs Jahren in einem Leserbrief an die Mainzer Allgemeine Zeitung behauptet hatte, daß alle Soldaten potentielle Mörder seien, freisprechen müssen.

Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe vom Oktober 1995 habe er keine andere Wahl gehabt. Denn dem Angeklagten, dem 31jährigen Ingenieur Andreas Speck aus Oldenburg, sei während der rund zweistündigen Hauptverhandlung nicht nachzuweisen gewesen, daß er speziell einen Soldaten oder exklusiv nur die Soldaten der Bundeswehr habe beleidigen wollen.

Zudem habe nur ein Freispruch einen weiteren „juristischen Amoklauf auf Kosten der Steuerzahler“ verhindern können.

Exakt wegen dieser Vorgaben der Karlsruher Richter komme Speck ungeschoren davon, monierte Fischer weiter. Die Entscheidung seiner Kollegen in den roten Roben nannte der erregte Provinzrichter „anmaßend, juristisch fragwürdig und gesellschaftspolitisch falsch“.

Karlsruhe habe damit in unverträglicher Weise in die Arbeit der Tatgerichte eingegriffen und die Rolle einer „Superrevisionsinstanz“ eingenommen, meinte er.

Nach Ansicht Fischers liegt diese anmaßende Rolle an den Auswahlkriterien für die Bundesverfassungsrichter. Da seien Parteibuch und Proporz offenbar wichtiger als juristische Qualifikationen.

Was den Richter auf die Palme brachte, freute naturgemäß den freigesprochenen Totalverweigerer, der es sich in seinem Schlußwort nicht nehmen ließ, noch einmal zu sagen, daß „Soldaten potentielle Mörder“ seien.

Und Speck sattelte noch drauf: „Kasernen sind potentielle Mörderschulen.“ Während er in diesem Gerichtssaal spreche, so Speck, würden pausenlos die Truppentransporte nach Ex-Jugoslawien rollen. Noch einmal betonte Speck, daß er mit dem Zitat von Kurt Tucholsky alle Soldaten auf der ganzen Welt habe charakterisieren wollen.

In erster Instanz war Speck 1990 vom Amtsgericht Mainz wegen Beleidigung zur Zahlung einer Geldstrafe von 100 Tagessätzen à 30 Mark verurteilt worden. Sowohl das Landgericht Mainz als auch das Oberlandesgericht in Koblenz bestätigten danach das Urteil der erstinstanzlichen Richter.

Erst das Bundesverfassungsgericht, das von Speck (und drei weiteren, in der gleichen Sache verurteilten Pazifisten) angerufen worden war, hob das Urteil auf und verwies die Sache an das Landgericht in Mainz zurück.

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