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Wähle aus, schließ an und nimm wahr!

Was ist Kommunikation? Das Standardwerk zum Allzweckbegriff liegt nun auf deutsch vor. Ein Psychiater und ein Anthropologe stellen anhand von gestörter Kommunikation fest: Nur wer Fehler korrigiert, kommuniziert  ■ Von Dirk Baecker

Es ist merkwürdig, daß die Diskussion zwischen Jürgen Habermas und Niklas Luhmann gerade in dem Moment eingeschlafen ist, als sich beide entschlossen hatten, den Kommunikationsbegriff in das Zentrum ihrer Theorieanlage zu rücken. Solange die soziologische Systemtheorie noch als Sozialtechnologie mißverstanden werden konnte und die kritische Theorie noch als Theorie möglicher Gesellschaftsveränderungen umworben wurde, wurde heftig gestritten. Als das Mißverständnis der Systemtheorie aufgeklärt war und die Werbung um die kritische Theorie nicht zum Erfolg kam, schlief der Streit ein. Das aufgeklärte Mißverständnis und die gescheiterte Werbung interessieren niemanden mehr. Wer weiß, was man daraus hätte lernen können.

Die streitenden Theoretiker störte all dies kaum. Die Theorieentwicklung wurde mit wechselseitiger Beobachtung und Rücksicht weitergetrieben. Beide entwickelten einen Kommunikationsbegriff als Grundbegriff ihrer jeweiligen Theorie. Bei Jürgen Habermas dient der Kommunikationsbegriff dem Nachweis prinzipiell möglicher Verständigung. Bei Niklas Luhmann ist die Kommunikation jenes auftauchende und wieder verschwindende Ereignis, das die Gesellschaft produziert und reproduziert. Habermas nimmt die Reproduktion in Kauf, Luhmann die Verständigung. Habermas fürchtet Verzerrungen der Kommunikation durch strategisches Handeln, Luhmann fürchtet das Einschlafen der Kommunikation nach gelungener Verständigung.

Die unterschiedlichen Akzentuierungen des Kommunikationsbegriffs werden eigentümlicherweise kaum noch diskutiert. Sie werden statt dessen auf die Vorlieben der jeweiligen Theoretiker zurückgerechnet und werden zum Bestandteil einer Art Charakterologie soziologischen und sozialphilosophischen Denkens.

Die Übersetzung eines Klassikers der Kommunikationstheorie könnte in diesen allzu ruhigen Stand der Dinge wieder etwas Bewegung bringen.

Der Psychiater Jürgen Ruesch und der Kulturanthropologe Gregory Bateson haben bereits 1951 ein Buch veröffentlicht, in dem sie noch ganz unter dem Eindruck der Entwicklung von Informationstheorie, Kybernetik und Kybernetik zweiter Ordnung einen Kommunikationsbegriff formulieren, der sämtliche Formen menschlichen Verhaltens vom „einsamen Seelenleben“ (Husserl) über körperliche Störungen bis zu zwischenmenschlichen Begegnungen und Kulturen abzudecken erlaubt.

Es ging um zweierlei. Erstens sollte die psychiatrische Theorie an die neuen Formen der Gruppentherapie rückgekoppelt werden, die im Zweiten Weltkrieg zur rascheren und verläßlicheren Behandlung psychiatrischer Störfälle entwickelt worden waren. Das Problem hierbei war, daß die Psychiatrie, die noch ganz im Zeichen der Neuropsychiatrie und der Psychoanalyse stand, viel vom Individuum zu verstehen glaubte, aber keinen Blick für das soziale Feld hatte, in dem es agierte. Nun entdeckte man, daß dieses soziale Feld sowohl für Störungen als auch für deren Behebung verantwortlich zu machen war, und man wußte nicht, wie man darauf reagieren sollte.

Und zweitens sollte ein Begriff der Kommunikation entwickelt werden, der über die Anregung psychiatrischer Theorie hinaus auf eine allgemeine Theorie des Verhaltens zielte, die individuellen Ereignissen ebenso wie großformatigen gesellschaftlichen Abläufen gerecht werden konnte.

Der Begriff, den Ruesch und Bateson vorschlugen, verstößt gegen so viele eingestandene und uneingestandene Vorlieben, daß er bisher nur untergründige und auf bestimmte Wissenschaftlerkreise begrenzte Wirkung entfalten konnte. Möglicherweise wird sich daran mit der deutschen Übersetzung etwas ändern, weil, siehe oben, das theoretische Feld hier anders bestellt ist als in Amerika. Die amerikanische Wissenschaftslandschaft hat sich erstaunlich resistent erwiesen gegenüber den grundsätzlichen Konsequenzen, die aus der Kybernetik, vor allem der Kybernetik zweiter Ordnung, also der Einführung des Beobachters, zu ziehen wären.

Ruesch und Bateson gehen davon aus, daß jede Kommunikation eine Auswahl aus verschiedenen Möglichkeiten darstellt. Sie ist selektiv, und man muß ihr das ansehen. Zweitens ist eine Kommunikation nur eine Kommunikation, wenn sie ein Ereignis mit einem anderen verknüpft. Keine Kommunikation ohne einen Anschluß an eine vorherige und ohne Vorgriff auf eine mögliche spätere. Drittens ist Kommunikation nur dann Kommunikation, wenn sie Getrenntes miteinander verbindet. Es kann nur miteinander kommunizieren, was anders nicht miteinander verbunden ist und sich zugleich wechselweise wahrnimmt. Das heißt, Kommunikation findet nur unter der Bedingung der Wahrnehmung statt, daß man selbst wahrgenommen wird und die eigene Wahrnehmung wahrgenommen wird.

All das liegt noch mehr oder weniger auf der Linie informationstheoretischer und bewußtseinsphilosophischer Vorgaben. Ruesch und Bateson fassen die Kriterien der Selektivität, Anschlußfindung und wechselseitigen Wahrnehmung jedoch zu einem handlichen Kriterium zusammen, das überrascht. Kommunikation, so sagen sie, ist Fehlerkorrektur, Korrektur von Fehlern, die in der Kommunikation selbst begangen werden.

Die Gegenprobe zeigt, daß das Kriterium greift: Fehler setzen erstens voraus, daß auch anders hätte kommuniziert werden können; Fehler setzen zweitens voraus, daß die Identifizierung eines Fehlers an den Prozeß, der ihn begangen hat, zurückadressiert werden kann; und Fehler setzen drittens voraus, daß dort, wo der Fehler begangen wird, wahrgenommen wird, daß ein Fehler identifiziert wurde. Die drei Kriterien konvergieren in einem einzigen. Der Kommunikationsbegriff wird tautologisch und damit, wie Bateson seither oft betont hat, erklärungstauglich. Im Zentrum der Tautologie sitzt das Konzept der Fehlerkorrektur.

Dieser Kommunikationsbegriff ist nicht auf menschliche Kommunikation begrenzt. Es kommuniziert, was Fehler korrigiert. Man wünscht der Diskussion um die künstliche Intelligenz ein so griffiges Kriterium. Es ist sogar fraglich, ob der Begriff auf Menschen paßt. Können Menschen kommunizieren? Luhmann glaubt, daß nur soziale Systeme die erforderlichen Voraussetzungen der Selektivität, Anschlußfähigkeit und wechselseitigen Wahrnehmung erfüllen. Habermas ist in diesem Punkt wesentlich zuversichtlicher. Er glaubt, daß Menschen die Fehler von Menschen korrigieren können.

Der Begriff schließt einiges aus, was man bisher gerne als Kommunikation verbucht hätte. Ruesch und Bateson nennen die Kommunikation eines Individuums mit sich selbst und die Massenkommunikation durch Presse, Rundfunk, Film. In beiden Fällen findet Fehlerkorrektur nicht beziehungsweise nur mit einer Verzögerung statt, die Ursachen und Effekte nicht mehr zu unterscheiden erlaubt. Ein Individuum kann nur wahrnehmen. Es weiß nicht, ob es sich dabei täuscht oder nicht. Dazu muß ihm die Kommunikation auf die Sprünge helfen. Und die Massenkommunikation verlautbart die Meinung auf Meinung, Bild auf Bild, ohne eine direkte Rückkopplung zuzulassen. Umständliche interne Korrekturmechanismen und ein genereller Verdacht auf Manipulation treten an die Stelle interaktiver Fehlerkorrektur.

Ruesch und Bateson konzentrieren sich auf die Entwicklung des Begriffs und seine Erprobung an psychiatrischen Phänomenen. Ihr Ziel ist es, ein Verständnis für die „soziale Matrix“ zu wecken, die jede psychiatrische Intervention und bereits die Ausarbeitung psychiatrischer Theorien umgibt und auf eine Weise mitbestimmt, die immer nur unvollständig mit zu beobachten ist. Um die These der sozialen Matrix deutlich zu machen, widmen sie dem Unterschied europäischer und amerikanischer Kultur einige Exkurse, die auch vierzig Jahre nach ihrem Entstehen lesenswert sind.

Dieses Buch entwickelt keine soziologische Theorie und keine Sozialphilosophie. Eine Prüfung der Frage, ob gesellschaftliche Systeme wie die Politik, die Wirtschaft, die Religion, das Recht, die Wissenschaft usw. mit Fehlerkorrekturen, also mit Kommunikation arbeiten oder nicht, liegt ihm ebenso fern wie eine Prüfung der Frage, ob Fehlerkorrektur eher auf einbeziehende Verständigung oder auf ausgrenzende Kontroverse zielt. Gerade darum scheint ihr Ansatz geeignet, die Diskussion um einen Grundbegriff Kommunikation neu anzustoßen.

Jürgen Ruesch und Gregory Bateson: „Kommunikation: Die soziale Matrix der Psychiatrie“. Aus dem Amerikanischen von Christel Rech-Simon, Carl-Auer-Systeme 1995, 348 Seiten, 58DM

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